In »If Beale Street Could Talk« übersetzt Barry Jenkins die Romanvorlage von James Baldwin in schattierungsreiche Kinobilder – eine Neubestimmung des amerikanischen Black Cinema.
Die Beale Street in Memphis ist ein mythischer Ort und könnte doch realer nicht sein. Denn sie führt nicht nur durch Memphis, sondern durch die Geschichte und Identität der Afroamerikaner. Hier wurden der Blues und der Jazz geboren. Hier nimmt James Baldwins »If Beale Street Could Talk« seinen Ausgang und somit auch Barry Jenkins’ Verfilmung des Romans. Sie führt nach Harlem in New York, wo die neunzehnjährige Tish ein Kind von ihrem Freund Fonny erwartet.
Fonny sitzt im Gefängnis für eine Vergewaltigung, die er nicht begangen haben kann. Man kann nur vermuten, was ihm dort widerfährt, Jenkins deutet lediglich an, dass die Weißen dort alles mit ihnen machen dürfen. Die Schrammen und Blutergüsse zeugen von den körperlichen Misshandlungen. Doch in Fonnys traurigem, erschöpften Blick liegt ein tiefer sitzender, vererbter Schmerz. Polizeigewalt und systematische Diskriminierung hinterlassen Spuren, lange nachdem die körperlichen Verletzungen verheilt sind. Von diesem kollektiven Schmerz, dem kollektiven Trauma der Sklaverei und Diskriminierung handelt »If Beale Street Could Talk« und davon, wie er zum Alltag der afroamerikanischen Bevölkerung gehört. Aber auch davon, wie die Menschen ihm trotzen und Hoffnung aus Liebesgeschichten wie der von Tish und Fonny schöpfen.
Jenkins bleibt nah an Baldwins Roman, der aus Tishs Perspektive erzählt. In wenigen Voice Overs zitierter direkt. Doch sind es seine präzise komponierten Bilder, die sich regelrecht einbrennen. Der Film ist bestimmt von langen Blicken – zwischen Tish und Fonny, wenn sie sich im Gefängnis durch eine Glasscheibe anschauen –, aber auch von deren Verlängerung in den Zuschauerraum. Wie bereits in seinem oscarprämierten Film »Moonlight« aus dem Jahr 2017 lässt Jenkins seine Figuren immer wieder in die Kamera schauen. Diese langen Porträts und Charakterstudien sagen mehr über den Schmerz und die Verwirrung der Figuren, als Worte es fassen könnten.
Als Tish etwa versucht, ihrer Mutter zu gestehen, dass sie schwanger ist, muss sie nur schüchtern »Mama?« fragen und hat alles gesagt. Aus ihrer Perspektive ist der Rücken der Mutter zu sehen. In nur einem kleinen Zucken des Nackens, einem Aufrichten der Schultern wird deutlich, dass sie bereits alles verstanden hat.
Wo James Baldwin der Geschichts- und Geschichtenschreiber der afroamerikanischen Bevölkerung war, hat Jenkins das Bebildern dieser Geschichte übernommen. Baldwin hatte immer wieder versucht, auch Drehbücher zu platzieren, was ihm nie gelang. Jenkins hat diesen Faden 45 Jahre nach Erscheinen des Romans nahtlos wiederaufgenommen, so als wäre das schon immer der Plan gewesen. Sein Film ist tragischerweise auch heute noch aktuell und macht deutlich, wie wenig sich seitdem für die Afroamerikaner in den USA geändert hat. Er öffnet eine historische Dimension, die nicht mehr ignoriert werden kann. Tishs und Fonnys Liebesgeschichte erzählt im Kleinen vom kollektiven Trauma. Historische Fotografien aus den 1960er-Jahren von Polizeigewalt gegen Afroamerikaner erinnern daran, dass Roman und Film zwar fiktiv sind, aber auf einer übergreifenden Erfahrung basieren.
Jenkins wählt bewusst erdige Farben, die einerseits die Siebzigerjahre widerspiegeln, aber auch,ähnlich wie in »Moonlight«, eine neue Ästhetik heraufbeschwören. Jedes Gesicht und jeder Körper in »If Beale Street Could Talk« hat eine eigene Farbschattierung. Damit setzt Jenkins einen neuen Standard für das Black Cinema, das weit mehr als nur eine Farbe hat und macht eine alternative afroamerikanische Filmgeschichte sichtbar, die sämtliche Stereotype durch individuelle Charakterstudien ersetzt. Mit ihnen moduliert er Baldwins Ton zu einem überzeitlichen Gospel, der die Schönheit, Vielfältigkeit und Warmherzigkeit einer Kultur feiert, die bisher im Film marginalisiert wurde. ||
BEALE STREET (OT: IF BEALE STREET COULD TALK)
USA 2018 | Regie: Barry Jenkins | mit: Stephan James, Regina King, Colman Domingo | 117 Minuten | Kinostart: 7. März
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