Kiki Smith hat ihr gesamtes druckgraphisches Œuvre der Staatlichen Graphischen Sammlung geschenkt. Und die hat aus den wundersamen Werken eine schöne Ausstellung komponiert.

»My Blue Lake«| 1995| Photogravüre und Lithographie auf En Tout Cas-Papier, 1110 x 1391 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Schenkung der Künstlerin, © Kiki Smith, courtesy Pace Galler

Kiki Smith ist wieder zu Gast in München. Nach der großen Retrospektive »Procession« im Haus der Kunst im letzten Jahr, in der Skulpturen dominierten, werden nun neue imaginäre Reisen in ihrem poetischen Kosmos möglich. Beginnen kann man sie im intimen Rahmen der »Capsule«-Präsentation, eingerichtet in einem Raum der Barbara Gross Galerie. Sie feiert damit nicht nur ihr 30-jähriges Bestehen und Engagement für die Vermittlung von Frauenkunst, seit vielen Jahren vertritt sie auch das Werk der Künstlerin Kiki Smith. Sehen kann man hier die vielschichtige Fotogravüre »Puppet« aus den 90er Jahren, die mit ihren collagierten Elementen plastisch eine eigene Schöpfungsgeschichte inszeniert. Ihre Fäden weisen nicht nur weit hinein in das Werk der Künstlerin, metaphorisch können sie auch stehen für die Verbindungsarbeit von Barbara Gross, der es mit zu verdanken ist, dass ein großer Teil des Werks der Ikone moderner amerikanischer Kunst dauerhaft in München bleiben wird.

Unter dem Titel »Touch. Prints by Kiki Smith« lädt jetzt die Staatliche Graphische Sammlung in die Pinakothek der Moderne ein, mit dem druckgraphischen Werk der Künstlerin von 1985 bis heute in Berührung zu kommen. Die Präsentation von über 160 ausgewählten Exponaten ehrt die Künstlerin für die großzügige Schenkung ihres gesamten druckgraphischen Œuvres von über 800 Blättern aus Einzelwerken, Serien und Künstlerbüchern, die sie auch in Zukunft weiterführen will. Im Entstehen begriffen ist ein Catalogue Raisonné, der sukzessive auch online eingesehen werden kann. Die großherzige Geste akzentuiert in besonderer Weise die Verbindung der 1954 in Nürnberg geborenen Künstlerin zum süddeutschen Raum, dessen Kunst sie nachhaltig beschäftigt und wo sie oft auch zu Arbeitsaufenthalten, zum Beispiel in der in München ansässigen Mayer’schen Hofkunstanstalt, verweilt.

Ab 1955 lebte Kiki Smith als Kind der Opernsängerin und Schauspielerin Jane Smith und des Architekten, Bildhauers und berühmten Vertreters der Minimal Art, Tony Smith, in Amerika und wuchs mit ihren Schwestern im Umfeld eines großen Künstlerhauses in New Jersey auf. Sie fertigte für ihren Vater Modelle und berichtet oft, wie sehr sie die Kindheit zwischen formalen Experimenten und katholischer Erfahrung beeinflusste. Bis 1980 arbeitete sie in verschiedenen Berufen, künstlerischen Kollektiven und ließ sich als Rettungssanitäterin ausbilden. Zutiefst prägte sie der Tod des Vaters 1980 und der Schwester Beatrice, die 1988 an Aids starb. Im Fokus ihres Interesses stehen der menschliche Körper, seine Zeugung, Geburt und Tod, seine Verletzlichkeit im Leben und die Suche nach Heilung. Individuell Erlebtes wird synthetisiertzu kollektiven, politischen Erfahrungen. Grundlegend ist die Frage, wie wir unsere Existenz im uns Umgebenden wahrnehmen.

Die Ausstellung bezieht Leben und Werk der Künstlerin eng aufeinander und so ist es eindrucksvoll, sie bei der Erstpräsentation selbst inmitten ihrer Werke zu erleben, dem Spiel ihrer sprechenden Hände mit den zartblauen Punkt- und Sterntattoos zu folgen. Im Wechsel mit den Kuratoren Michael Hering und Birgitta Heid entsteht angesichts des Mappenwerks »Mortal« (2007), einer Serie von zwölf Weißlinien-Holzschnitten über Krankheit und Sterben ihrer Mutter, ein Dialog über das Oszillieren zwischen Leben und Tod. Ihre Themen würden sich aus konkreten Lebensumständen entwickeln – zum Beispiel dem Tod ihrer Katze –, so Smith, und würden inimmer wieder neuen Ansätzen weitergeführt und neu geformt. Die Druckgraphik erweist sich nicht als Nebenprodukt oder Mittel der Vermarktung, sondern als Zentrum des Werks.

Bis in die frühen 90er Jahre galt Smiths Interesse vornehmlich dem inneren, viszeralen Körper. Sie gestaltete ihn in Fragmenten, ehrte Verborgenes nach außen, zeigte ihn zutiefst verletzlich und zugleich sachlich. Es ist eine überraschende Interpretation der Kunst des Selbstporträts, wenn sie die großformatige Radierung ihres Verdauungstrakts von 1993 mit »Kiki Smith« benennt. Im Gegensatz zu ihrem skulpturalen Œuvre finden sich in der Druckgraphik sehr viele Darstellungen ihrer selbst, so ist es auch im ausnehmend schön gestalteten Katalog nachzulesen. Hier »öffnete sich«, so berichtet sie in einem Interview, »für mich eine Geheimtür, um mich selbst zum Thema meiner Arbeit zu machen.«

In allen Räumen der Ausstellung lässt sich ein vielfältiges Spiel mit dem eigenen Körper entdecken, das niemals Selbstbespiegelung ist. Mit Hilfe einer Peripheriekamera, die eigentlich zur Aufnahme geologischer, topographischer Strukturendient, faltete sie ihn zweidimensional auf zu dem ikonischen Bild »My Blue Lake«. Er blitzt auf in den Faltungen der Künstlerbücher, in den Masken undimmer wieder neuen Gesichtern der quirligen »Banshee Pearls«. Oft sind die Arbeiten auf der Basis von Fotografien entstanden und zeigen eine immer wieder neu ansetzende Performance, der man die Lust am Experiment anmerkt.

Die Auseinandersetzung mit dem Körper beinhaltet auch die Darstellung von Tieren, verbindet sich mit Pflanzenbildern und Märchenerzählungen, verweist ins Kosmische. Bewegliche Leichtigkeit entsteht, wenn die zart farbigen Planeten der über einem zweiten hinterlegten Bogen Japanpapier offen montierten Photogravüre »Europa« (2000–2006) Brüste ahnen lassen über der Inschrift: »I am the flesh of the full moon«. Ausstellungstechnisch geht die von Michael Hering und Birgitta Heid kuratierte Schau in der offenen, rahmenlosen Präsentation großformatiger Werke neue Wege. Ein Raum – »In der weißen Zelle« benannt – bricht den White Cube auf in versetzte, wandhohe Paneele, die zarten kleinformatigen graphischen Blätter scheinen hier zu schweben und sich zu immer neuen Bezügen zu verbinden. Es ist eine Welt, die ohne Scheu Abgründiges und Leichtes verbindet, Dekoratives und hohe Kunst nebeneinander gelten lässt. Sie macht Trennungen bewusst und hebt sie gleichzeitig auf. Die Werke von Kiki Smith sind ein sich aus sich selbst erweiternder Kosmos unaufhörlicher Erzählung. Die Raumskulptur der »Zelle« erweist der beweglichen Ideenwelt der Künstlerin Reverenz und ist eine Einladung, daran eigene Narrative anzuspinnen. Und bei jedem genaueren Blick überträgt sich auch Smiths Freude am Experimentieren mit verschiedensten druckgraphischen Techniken und ihr sensitiver Umgang mit Papieren. ||

TOUCH. PRINTS BY KIKI SMITH
Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne| Barer Str. 40 | bis 26. Mai| Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Kuratorenführungen: 14. März, 4./11. April, 9./16./23. Mai, jew. 18.30 Uhr | Künstlerbücher: 21. März, 18 Uhr, Studiensaal, Katharina-von-Bora-Str. 10 | weitere Termine | Der reich bebilderter Katalog, hrsg. von Michael Hering und Birgitta Heid (Verlag Walther König, 256 Seiten), kostet 58 Euro
30 JAHRE BARBARA GROSS GALERIE

TEIL 2
Barbara Gross Galerie| Theresienstr. 58 Rgb. bis 23. März| Di–Fr 11–18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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