Robert Habeck geht in seinem Buch »Wer wir sein könnten« dem Zusammenhang von Sprache und Politik nach. Leidenschaftlich und klug plädiert er für ein demokratisches Sprechen.
Als der Grünen-Politiker Robert Habeck kürzlich in der Folge zweier verbaler Ausrutscher, für die sich im Vorinternetzeitalter wahrscheinlich kein Mensch interessiert hätte, reumütig bekannt gab, er wolle den sozialen Medien, d. h. Twitter und Facebook, den Rücken kehren, war die Aufregung groß und der Tenor unter deutschen Meinungsjournalisten derselbe:Habeck sende mit seinem Austritt ein »fatales Signal« (»Handelsblatt«), er solle doch besser »sein Politikverständnis überdenken«, denn er leide offenbar an einem »mangelnden Demokratieverständnis«, so eine Kommentatorin des Senders n-tv. Und »Die Zeit« attestierte dem in Umfragewerten gerade extrem beliebten Politiker einen bedauernswerten »Schnellschuss«.
Liest man das in den Bestsellerlisten derzeit weit oben rangierende Buch des Grünen-Vorsitzenden »Wer wir sein könnten«, dann wird zum einen deutlich, was Habeck dazu bewogen haben mag, eine Schrift zum Thema Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit zu verfassen, zum anderen drängt sich der Verdacht auf, dass Habecks Abkehr von den Plattformen der Social-Media-Seiten gar kein Schnellschuss war, sondern ein konsequenter Schritt. So konstatiert Habeck angesichts gesellschaftlicher Debatten auf den ersten Seiten seines Buchs: »Nach einer langen Zeit der politischen Sprachlosigkeit ist eine des politischen Brüllens und Niedermachens gekommen (…) Statt sich zu widerlegen, beginnt man sich gegenseitig zu bezichtigen.«
Auch wenn Habeck seine Sätze als Kritik an der Debattenkultur insgesamt verstanden haben will, kommt man nicht umhin, ihn auch als konkrete Spitze gegen die Social-Media-Gewohnheiten einiger Vertreter der öffentlichen Zunft zu begreifen. Denn andere bei Fehlern zu ertappen, um sie dann maximal öffentlichkeitswirksam vorzuführen, gehört zur Aufmerksamkeitsökonomie und gängigen Währung der sozialen Netze. Habecks Kritik daran mag mit großem und zugegebenermaßen auch zu verallgemeinerndem Geschütz daherkommen. »Twitter«, so heißt es da, »ist wie kein anderesdigitales Medium so aggressiv,und in keinem anderenMedium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze.« Sympathischerweise nimmt sich der promovierte Philosoph von der allumfassenden Netzkritik selbst nicht aus: »Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen. Offenbar bin ich nicht immun dagegen«, so Habeck auf den Seiten seines privaten Blogs.
Selbstreflexivität ist für einen Politiker eine lobenswerte Eigenschaft und beileibe keine selbstverständliche. Die Lektüre von »Wer wir sein könnten« ist daher auch eine willkommene Abwechslung zu typischen Politikerbüchern, auch wenn es Habeck nicht durchgehend gelingt, das Politfloskelhafte zu meiden. Lohnenswert sind in jedem Fall Habecks abseits von sprachwissenschaftlichen Gemeinplätzen formulierte Betrachtungen zum Komplex Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit. Er konstatiert darin, Sprache sei das eigentliche politische Handeln. Sein Gegner bei diesen Betrachtungen: die politisch rechtsstehenden Kräfte, die mittels geschicktem politischen Framing (siehe Titel), nach Kräften eine Diskursverschiebung betreiben. Deren »Umwertung der Werte«, etwa am Beispiel des enthumanisierten Diskurses über Geflüchtete, stellt Habeck sein Programm »Sprachlicher Offenheit«, eine »demokratische Sprache« entgegen. Anstelle einer Gesellschaft der Angst, die von einer »nervösen, porösen und gereizten Mentalität« geprägt sei, soll sein Konzept ein gesellschaftliches Wir befördern, das im Idealfall »einen Abend lang über ein Thema gerungen hat, Meinungen ausgetauscht, Argumente gewogen hat und das gemeinsam klüger geworden ist.«
So sähe im Idealfall natürlich auch eine gelungene Debatte auf Twitter aus. Wie konkret sich dieses neue gesellschaftliche Wir dabei herstellen und wie sich der zugespitzte Ton in Debatten entschärfen ließe, diese Antwort bleibt Habeck mit Ausnahme einiger Framing-Empfehlungen auch an das links-grüne Lager (sagt nicht »Mütterrente« und »Herdprämie« und »Agrarmafia«) leider noch schuldig. Es ist Habeck jedoch durchaus zuzutrauen, dass er in Form politischer Praxis eine Antwort auf diese Fragen findet. Und sollte er jemals wieder bei Twitter einsteigen, dann sind ihm die Schlagzeilen gewiss. ||
ROBERT HABECK: WER WIR SEIN KÖNNTEN. WARUM UNSERE DEMOKRATIE EINE OFFENE UND VIELFÄLTIGE SPRACHE BRAUCHT
Kiepenheuer & Witsch, 2018 | 128 Seiten | 14 Euro
AUTORENLESUNGEN
Augustana-Saal | Im Annahof, Augsburg | 23. Februar| 19.30 Uhr
Literaturhaus | Salvatorplatz 1, München | 28. Mai| 20 Uhr
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