In München zu Gast, nach 35 Jahren: Die schwedische Choreografin Cristina Caprioli gestaltet zwei Abende bei der Tanztendenz.
Körper im Licht, gleichsam aus Licht. Wie im Prisma farbiges Licht ausströmend. Zwei Fotos zart-energetischer Bewegungsunschärfe schmückenden Tanzkalender dieses Quartals und verweisen auf das Gastspiel von Cristina Caprioli. »She who thinks she is a pale planet and other stories«, so ist der erste Abend mit Elementen aus einer Serie von Kurzchoreografi en und performativen Installationen betitelt, den die schwedische Choreografi n in der Reihe STANDPUNKT.e bestreitet. Helles Licht und tiefe Schatten spannen sich über den Raum, so beschreibt Caprioli ihr Projekt, das der Stille und der Präzision gewidmet ist. Gleichwohl von einem Zittern bewohnt, in feinster Verteilung der Bewegungen, wie einlichter Nebel. Es geht um »Unbestimmtheit in kleinsten Teilen«, die Aufmerksamkeit weckt für minimale Differenzen.
Sanftheit, Distanz und Unfassbarkeit dieses Tanzens sindauch ein komplexes Statement gegen Wert-Setzungen und Behauptungen.Seit zehn Jahren schon lädt die Tanztendenz Choreografi nnen und Choreografen zu STANDPUNKT.e ein. Es begann 2009 mit Jeremy Wade und Pierre Droulers, und man kann sagen, dass, wer als Besucher einmal nicht dabei sein konnte,mit Sicherheit einen besonderen Abend versäumt hat. »Welcome to my world« lautet das gastfreundliche Motto, mit dem die eine Woche (zur Vorbereitung) anreisenden Gäste dem Publikum an zwei Abenden Einblicke geben in ihr Universum und ihre künstlerischen Strategien.
Die 1953 geborene, weltweit renommierte und vielfach ausgezeichnete Tänzerin und Choreografi n hat in Stockholm zwei Plattformen etabliert, ccap und c.off, mit denen sie Bühnenstück, Objekte, Installationen, Publikationen, Ausstellungen, Filme, Festivals und Seminare realisiert, Lehre und interdisziplinäres Forschen inklusive. Die Fixierung auf ein gegebenes Format, wie Performance oder Lecture, interessiert sie deshalb nicht. Das »großartige« Prinzip des Formats STANDPUNKT.e – Einladung und Einsichten – passt genau zur Linie ihres aktuellen Arbeitens. »Das erste Mal seit langem freilich«, sagt Caprioli, »bin ich allein auf mich gestellt«, denn ihr Werk ist immer kollektiv angelegt und wird auch nicht von ihr persönlich, sondern von verschiedenen Mitarbeitern performt und manifestiert. »Nun, trotz meines Alters und absoluten Mangels an Sehnsucht aufzutreten, werde ich einige kurzlebige Bilder tanzen, so sanft und still ich kann –
als wären meine Knochen Verbindungskabel von anderswoher.«
Capriolis zweiter Abend widmet sich einem anderen Anliegen: dem Entgleiten und der Verschiebung von Bedeutung, die mit dem Tanzen einhergeht und aus ihm erwächst. »Tanz kann unmöglich übersetzt, aber leicht in andere Formen, Sprachen, Körper, Materialitäten übertragen werden«, so Caprioli. »A cloud by many« ist der Abend betitelt. Hier demonstriert sie Choreografie in Form von Materialien, also Dingen, und Medialitäten wie Film oder Sprache. Wobei Tanzen sich auch als Vortrag aufführen kann, »der eine Debatte choreografiert«. Vielleicht zeigt Caprioli auch ihre Installation »Cloth« von 2011.
Für Caprioli bedeutet der Besuch die erste Wiederbegegnung mit München nach langer Zeit. 1981 war sie in der zeitgenössischen Tanzszene von New York aktiv, brauchte dringend eine Pause – und Geld. So unterrichtete sie bei Iwanson, fand in München eine Gruppe interessanter Leute und ein produktives Umfeld. Sie überdachte ihre Prioritäten – und blieb drei Jahre. »Ich arbeitete hart, begann ans Choreografieren zu denken. Ich tanzte in einigen richtig schlechten Produktionen und choreografierte für mich selbst sehr zweifelhafte Arbeiten. Alles optimisch und voller Energie.« Parties und wilde Nächte inklusive, Sex, Drugs, and Rock and Roll – so erlebte sie die 80er. Aber nicht alles war rosig: »Die Tanztheater-Strömung war stark und erschwerte es, andere Wege zu verfolgen«, berichtet Caprioli. Obwohl gut eingewöhnt, konnte sie sich in der Szene nicht mehr recht entfalten. Hinzu kam eine damals schon spürbare Ausländerfeindlichkeit. »Schließlich sah ich an einem Sommermorgen 1983 vor meiner Haustür – ich wohnte an der Münchner Freiheit – ein Graffiti ›Ausländer raus‹. Ich nahm es als Zeichen – und ging.« ||
STANDPUNKT.E – CRISTINA CAPRIOLI
Schwere Reiter | Dachauer Str. 114 | 15./16. Februar,
jew. 20 Uhr | Tickets: Reservierung 089 7211015, Abendkasse
Das könnte Sie auch interessieren:
»Giselle« am Gärtnerplatztheater
Peer Gynt / Le Parc: Ballett in München
Léonard Engel: »Wusch! Zack! Puf!« im HochX
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton