Blanka Rádóczy beschwört in dem Psychothriller »Der Mieter« im Marstall leise kafkaesken Grusel.

Der Mieter (Aurel Manthei) kriecht in die Persönlichkeit seiner Vormieterin | © Armin Smailovic

»Es ist eine einmalige Gelegenheit,« erklärt der Vermieter. »Vergessen Sie das nicht.« Der gönnerhaft fiese Biedermann (Joachim Nimtz) macht unmissverständlich klar, dass ein Wohnungsangebot eine Gnade ist, angesichts derer man keine Ansprüche stellen darf. Tatsächlich entpuppt sich die Wohnung, die er dem Angestellten offeriert, als ein möbliertes Loch. Die Vormieterin hat sich aus dem Fenster gestürzt und liegt noch im Krankenhaus, aber das ist kein Hinderungsgrund für Trelkovskys Einzug.

Der vermeintliche Glücksfall entwickelt sich in Roland Topors Roman rasch zum Albtraum. Im Rahmen des Arbeiten von Nachwuchsregisseuren präsentierenden »Marstalljahresplans« hat Blanka Rádóczy den Psychothriller, der durch Roman Polanskis Verfilmung berühmt wurde, nun inszeniert. Dafür hat sich die Absolventin der August-EverdingAkademie ein feines Bühnenbild entworfen: Die Wohnung des Mieters liegt als schmaler, mit behängten Kleiderständern und als Bettersatz dienenden Kissen vollgestopfter Bodenstreifen vor einer mit Plastikplane abgedeckten Fläche. Gegenüber führt im Hausgang, in dem eine gespenstisch dauerpräsente Nachbarin (Anna Graenzer) herumwischelt, eine Tür ins Gemeinschaftsklo.

Der Horror beginnt schleichend, nachgerade sanft. Mit seltsamen Geräuschen und Begegnungen mit einem penetrant geschwätzigen, über den Tod schwadronierenden Nachbarn (René Dumont). Nachts geistert eine Frau im Morgenmantel der Vormieterin umher. Grabesruhe ist striktes Gebot im Haus, und bald sieht sich Trelkovsky mit wütendem Klopfen an seinen Wänden und anonymen Anzeigen konfrontiert. Er bemüht sich verzweifelt, ein braver Mieter zu sein, doch seine Anpassungsversuche scheitern in dieser feindlichen, undurchschaubaren Welt. Aurel Manthei als zu nächst selbstbewusst feilschender Mieter zeigt dessen zunehmende Einschüchterung wunderbar wehrlos verhuscht.

Unaufdringlich beschwört Rádóczy eine beklemmende kafkaeske Atmosphäre. Dass sich allerdings plötzlich zwei Erzählerstimmen einschalten, just wenn sich der leise Grusel zu bedrohlichen Wahnbildern steigert, wirkt fast ein wenig hilflos, als habe sie dafür keine Theatersprache gefunden. Doch insgesamt überzeugt die junge Regisseurin mit großem handwerklichem Können und ihrer Fähigkeit, mit wenigen Mitteln Stimmungen zu verdichten. Wie es ihr gelingt, mit präzise gesetzten kleinen Details die banale Alltagsrealität ins
Surreale zu verrücken, das ist beeindruckend.

Für die nur knapp einstündige Aufführung hat sie die Vorlage stark gekürzt, was leider zu einigen zusätzlichen Unklarheiten führt. Wirklich durchschauen aber muss und soll man das Geschehen nicht. Sind es der Vermieter und die Nachbarn, die Trelkovsky dazu treiben, sich in einen Wiedergänger der Vormieterin zu verwandeln? Ist es seine eigene Paranoia? Letztlich kann jeder selbst entscheiden, ob er in »Der Mieter« eher die Fallstudie eines psychisch Kranken oder eine moderne Horrorgeschichte über die identitätszerstörende Macht eines unerbittlichen Anpassungsdrucks sehen will. ||

DER MIETER
Residenztheater – Marstall | Marstallplatz 5
31. Januar| 20 Uhr | Tickets: 089 21851940

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