Yorgos Lanthimos entfesselt in »The Favourite« eine gekonnte Mischung aus Kostümfilm, Screwball-Comedy und Psychospiel. Das 18. Jahrhundert erscheint darin furchteinflößend zeitgenössisch.
Queen Anne sitzt öfter im Rollstuhl als auf dem Thron. Schwere Gichtanfälle, 17 Fehlgeburten und eine beachtliche Fresssucht haben sie schwer gebeutelt und zu einer körperlich wie seelisch gebrochenen Frau auf dem emotionalen Niveau eines Kleinkindes gemacht. Nur noch ein ausgeklügeltes System aus Bevormundung und Opportunismus hält den Staat am Laufen.
Genau diesen Moment der hierarchischen Schwerelosigkeit inszeniert und seziert der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos in seiner schwarzen Komödie »The Favourite«. In einer tänzerischen Kreuzung aus Kostümfilm, Screwball- Komödie und grausamem Psychospiel zeigt er Queen Anne, die Anfang des 18. Jahrhunderts in Großbritannien an der Macht war. Selbst ihre engsten Vertrauten benutzen sie als Marionette, allen voran Lady Marlborough, eine Freundin aus Kindheitstagen. Als deren Cousine Abigail, gerade ihres Adelstitels beraubt und verarmt, an den Hof kommt und schnell zur Herzdame der Königin aufsteigt, entbrennt eine intrigante Schlacht der beiden Frauen um die Gunst der Queen. Aus einem fragilen Machtgefüge wird ein Liebesdreieck, das den gesamten Staat in Schieflage bringt.
Lanthimos blickt nicht nur in die menschlichen Abgründe, er stürzt sich mit seinen Figuren lachend hinein. In einem anarchistischen, emanzipatorischen Gestus feiert er seine überbordende Ausstattung, die rauschenden Kostüme und die lächerlich hohen Perücken und legt so die Perversion dieser ständigen Inszenierung frei, der die gesamte Aristokratie ausgesetzt und verfallen ist. Der Film lebt vom entfesselten Spiel seiner Hauptdarstellerinnen, allen voran Olivia Colman als Queen Anne.
Hinter all der Garstigkeit und den Launen verleiht sie der Königin einen Rest Menschlichkeit. Gebrochen vom Leben und den Regeln des Hofes leidet sie an ihrem körperlichen wie systemischem Gefängnis. In all dem höfischen Pomp fürchtet sie sich niemals vor Hässlichkeit, wälzt sich zerzaust und enthemmt auf dem Boden und lässt der kreischenden Verzweiflung dieser tieftraurigen Figur freien Lauf. Wie Feuer spucken die drei Frauen einander die scharfen Dialoge von Deborah Davis und Tony McNamara entgegen und entfachen damit einen Sturm aus Betrug, Lügen und Bosheit. Rachel Weisz als Lady Marlborough und Emma Stone als Abigail fechten in Wortscharmützeln und beim Tontaubenschießen eines der gehässigsten und deshalb unterhaltsamsten Duelle der Filmgeschichte aus. Sie machen Männer zu notwendigen Ärgernissen auf dem Weg an die Macht, das Patriarchat scheint beinahe ausgehebelt. Doch geht es für die Frauen in diesem nach wie vor starren System ums blanke Überleben. Die einzigen Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen, sind ihre Verführungskünste und scharfe Worte. Als ein adliger Verehrer sich in Abigails Kammer schleicht und sich trotz offensichtlichem Ansinnen als Gentleman bezeichnet, entgegnet sie trocken: »Also doch ein Vergewaltiger.«
Die Sprache ist anachronistisch, in gepuderter Perücke und engem Korsett fluchen sie wie Matrosen und schimpfen einander Schlampe und Fotze. Doch genau dieser Bruch lässt sie so furchteinflößend zeitgenössisch erscheinen. Beim Machtkampf blieben Anstand und Altruismus eben schon immer auf der Strecke.||
THE FAVOURITE – INTRIGEN UND IRRSINN
Großbritannien 2018 | Regie: Yorgos Lanthimos | Mit: Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone, Nicolas Hoult, Mark Gatiss
121 Minuten | Kinostart: 24. Januar
Trailer
Das könnte Sie auch interessieren:
Volkstheater München: Premieren im Herbst
Kino im März 2022: Come On Come On, Drei Etagen, Pétite Maman ...
Filmfest München 2022: Ein Blick ins Programm
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton