»Mehr Gewicht fürs Kindergedicht!«
Mit dieser Parole startete vor drei Jahren ein experimentelles Lyrikprojekt an der Internationalen Jugendbibliothek Schloss Blutenburg. Jetzt zeigen eine Ausstellung und eine Anthologie die Ergebnisse in Wort und Bild.

Es gäbe zwei Vorurteile, gegen die Lyrik anzukämpfen habe, sagte Holger Pils, Leiter des Münchner Lyrik Kabinetts, kürzlich in der Internationalen Jugendbibliothek (IJB): »Sie ist zu leicht. Und: Sie ist zu schwer.« Da haben es Elefant, Wal und Nilpferd deutlich leichter. Ihr gewaltiger Körperumfang steht außer Frage. Als poetisches Schwergewicht hat indes der Elefant den Rüssel vorne: Fünf Beiträge sind ihm in der Kindergedichte-Anthologie gewidmet; rechnet man das Mammut als Vorläufer mit (siehe LYRIK), sogar sechs. Damit belegt das schwerste Landsäugetier Platz eins in »Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest«. Der Wal taucht in drei Gedichten auf, und das Nilpferd, das nur einmal im schönsten Wortsinne beleuchtet wird, muss sich nicht grämen: Schließlich verdankt die Anthologie dem Paarhufer ihren Titel – und in der gleichnamigen Ausstellung bildet ein in ein Leuchtturmmodell gepfropftes Plüschnilpferd sogar das Zentrum.

Selbstredend tummelt allerlei weiteres Getier durch die Gedichte: Über 130 weist das nach Arten sortierte Register auf, darunter Ungewöhnliches wie eine Fußballmaus, eine Quasselassel, ein Wackelpuddingtier und ein Schniebt. Zugegeben, es gibt Mehrfachnennungen. So versteckt sich bei den Weichtieren zwischen Auster und Made ein Kuscheltier namens Hannibal, der Elefant. Ersonnen wurden all diese wunderlichen Geschöpfe von Arne Rautenberg, Michael Augustin, Heinz Janisch, Mathias Jeschke sowie ihren Kolleginnen Tanja Dückers und Ulrike Almut Sandig. Sie folgten 2016 Rautenbergs Einladung zu einem experimentellen Lyrikworkshop in der IJB. Einige unter ihnen hatten bereits für Kinder geschrieben, für manche war es das erste Mal. Genau das war die Grundidee der Kooperation zwischen der Stiftung IJB, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Stiftung Lyrik Kabinett zur Förderung der Kinderlyrik. Man wollte aus eingefahrenen Strukturen heraustreten, erklärte Bernd Busch von der Akademie, nicht zuletzt den »Kampf gegen die Dominanz der Prosa« aufnehmen und die Leser und Leserinnen von morgen für Poesie begeistern.

Michael Augustin, der zuvor nur für Erwachsene geschrieben hatte und sich mit der »Hochnäsigkeit der Lyrikszene« schwertat, reizte es, sich in Neuem auszuprobieren. 99 Kindergedichte lägen mittlerweile bei ihm daheim, er sei »wild entschlossen weiterzumachen«. Tanja Dückers mochte den Zugang über die Tiere zum Gedicht, Ulrike Almut Sandig wundert sich immer noch, dass sie für ein Kindergedicht doppelt so viel Zeit benötigt, und Heinz Janisch lehnt die Unterscheidung in für Groß oder Klein schlichtweg ab: »Für mich haben Gedichte kein Alterszertifikat. Sie sollen einfach wirken.«

Dass das klappt, zeigten zwei Lesungen in der IJB: Die eine als Abschluss der Werkstatt 2016, die zweite anlässlich der Bucherscheinung und Ausstellungseröffnung im Herbst 2018. Die Zwischenzeit nutzten die Künstlerinnen Nadia Budde, Julia Friese, Regina Kehn und ihr Kollege Michael Rohrer, um die muntere Tierschar zu illustrieren. Es war übrigens kaum auszumachen, wer sich bei den Livepräsentationen über die skurril-verspielten Reime mehr amüsierte: die Kinder oder die sie begleitenden Erwachsenen. Auch die erste Auflage des beim Münchner Verlag Mixtvision erschienenen Buches war im Nu vergriffen. Wenngleich sofort nachgedruckt wurde – man die Tiere also bequem zu sich nach Hause holen kann –, lohnt der Ausstellungsbesuch: Nur dort finden sich einige Alternativillustrationen, die nicht in der Anthologie gelandet sind. Ein großer Schaukasten erlaubt einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Projekts – und in die individuellen (Gedanken-)Welten der Künstlerinnen und Künstler. Wenn Michael Rohrer eine neue Idee braucht, konsultiert er einen Automaten in seiner Straße: »Da wirft man 50 Cent hinein, und dann kommt so eine Plastikkugel mit einer Idee runter. So ist das bei mir, wie machen die anderen das denn?«

Nadia Budde findet, dass sich »alle Tiere außer Pandas« besonders für Gedichte eignen. Ulrike Almut Sandig verrät, dass sie gerne die Gestalt eines Pferdebären annehmen würde – »Schwer wie ein Bär, begehrt wie ein Pferd. Kreuz und quer: ein Pferdebär!« –, und lieferte diesen in Plüschform als Ausstellungsobjekt gleich mit. Den 65-jährigen Michael Augustin begleitet bis heute sein kleiner Tiger, »der schon mit mir zusammen auf einem Babyfoto zu sehen ist«. Weitere Auskünfte über prägende tierische Beziehungen aller Beteiligten geben die von Projektleiterin Ines Galling zusammengestellten Künstlerbiografien. In der Wehrganggalerie animieren Buntstifte und Papiere auf Klemmbrettern zum Selberdichten, und eine Magnetwand lädt Kleine und Große ein, mit dem in seine Einzelteile zerlegten Gedicht »Fasching im Tierpark« von Mathias Jeschke kreativ zu spielen.

Im Schulklassenprogramm der IJB stiften Workshops Kinder an, sich selbst lyrisch und zeichnend auszuprobieren, und für das Projekt »Buch auf, Film ab!« ließen sich Kinder von Augustins Gedicht »Das Aquarium bleibt heute geschlossen« inspirieren. In ihrem selbst gedrehten Video bleibt der Zoo geschlossen, denn »das Krokodil isst zu viel, der Bär ist viel zu schwer, der Aal ist zu schmal – und der Elefant: ist verbrannt«. ||

AUSSTELLUNG
Internationale Jugendbibliothek Schloss Blutenburg| Seldweg 15 | bis 17. Februar
Mo bis Fr 10–16, Sa/So 14–17 Uhr

 


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