Für Alligatoah ist Rap mehr als Tanktop und dicke Hose. Das macht ihn zu einem herrlich unbequemen Star.

Alligatoah| © Norman Z

Fragt man die Statistiken der Streamingdienste, dann ist Rap ganz weit vorne. Allerdings sind es eher die Stierhoden-Varianten mit dem verbalen Muskelspiel der Hormonprotze, wahlweise die Selbsterkenntnisse von Teilzeitgangstern, die die HörerInnen begeistern. So finden sich unter den ersten zwanzig der beliebtesten Spotify-Künstler 2018 in Deutschland zwar RAF Camora, Kollegah und Bushido. Die pfiffigeren und intellektuell etwas fordernderen Vertreter des Genres wie Marteria oder Alligatoah aber sucht man auf den Podesten vergebens. Macht nichts, die Hallen sind in der Regel trotzdem voll, schon weil jemand wie Lucas Strobel, genannt Alligatoah, mit seinen Texten auch andere Bevölkerungsgruppen als den geschmacks- und ideologieverwirrten jungen Mann anspricht: »Man darf als Künstler nicht den Fehler machen, sich am Widerspruch der anderen zu orientieren, sonst droht die eigene Kunst gefällig zu werden. Bislang dürfen wir hier alles sagen, und man muss es eben ertragen können, dass andere etwas nicht in Ordnung finden. Das ist Teil eines demokratischen Prozesses. Ich bin auch jemand, der viele Seiten verstehen kann, oft zwischen den Stühlen sitzt und auch mal schlichten muss. Ich mag es daher, in Songs die Diskussion offenzulassen, so dass sich ein Hörer selbst Gedanken machen muss.«

Anstrengend ist das, führt auch zu Missverständnissen, ist aber Teil des künstlerischen Konzepts, das hinter der Kunstfigur Alligatoah steckt. Denn Lucas Strobel schlüpft gerne in Rollen. Der Vita nach soll er das schon als Kind gerne gemacht haben, auf der Bühne erscheint er damit seit rund eineinhalb Jahrzehnten. Es gab Goldene Schallplatten wie für die Alben »Triebwerke« oder »Musik ist keine Lösung«, und der Szeneruhm des Rappers, Texters und Produzenten aus dem Niedersächsischen wuchs beständig. Zurzeit hat er wieder neue Lieder am Start, singt durchaus provokativ von Urlaubswahn und Alkohol, Denkfaulheit und Bigotterie, ironisch, manchmal sarkastisch, zuweilen bizarr in der Konstruktion der Themen. Der kleine Button »explizit« leuchtet neben jedem seiner Stücke auf, doch ihm geht es eher um die Herausforderung des Intellekts als um die Behauptung einer Wahrheit. Damit ist er Kind des BattleRaps, auch wenn er gestalterisch längst darüber hinaus ist. Denn Alligatoah begnügt sich nicht mit Beats. Seine Stücke sind Lieder, die stilistisch Elemente vom herben Rock über Reggae bis zur Flamencogitarre aufnehmen. Sein Flow ist ebenso präzise wie lässig, das Spiel mit dramaturgischen Mitteln, wie etwa dem Fortsetzungsrap als Erzählklammer über ein ganzes Album hinweg, gehört zu seinen Markenzeichen.

Und er führt sein Publikum aufs Glatteis, bringt es etwa dazu, eine liebliche Melodie über das Beinebrechen oder das Füttern von Flüchtlingen mitzusingen, noch bevor es merkt, dass es bereits Teil einer bitteren Satire ist. Alligatoah ist ein Schalk, ein Verführer mit dem Herzen eines Aufklärers, aus dessen Konzerten man mit dem Gefühl kommt, sich doch über einiges endlich mal Gedanken machen zu müssen, während man beiläufig »Mein Gott hat den Längsten« vor sich hin summt. ||

ALLIGATOAH
Zenith| Lilienthalallee 29 | 19. Januar| 19.30 Uhr | Tickets: 01806 570070

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