In »Mein liebster Stoff« zeigt die syrische Regisseurin Gaya Jiji eine Jugend zwischen politischer Unruhe und der Sehnsucht nach Romantik.
Eigentlich ein unglaublicher Widerspruch: durch eine arrangierte Ehe in die Freiheit zu gelangen. Für Nahla (Manal Issa) scheint es aber nun so zu laufen. Bei ihr in Damaskus zeigen sich schon die ersten Vorzeichen des brutalen Bürgerkrieges. Es ist also ein perfekter Zeitpunkt, um mit ihrem potentiellen
Bräutigam (Saad Lostan) und ihrer Familie das Land zu verlassen. Und es soll nirgends anders hingehen als in die USA. Da könnte er zwar genug junge Frauen finden, doch eine aus der alten Heimat wäre ihm am liebsten. Nahla hat allerdings schon ihren Traummann – nur, ob der existiert, ist nicht ganz sicher.
Mit ihrem Langfilmdebüt »Mein liebster Stoff« verwebt die syrische Filmemacherin Gaya Jiji die verschiedensten Motive. So arbeitet sie in die autobiografisch angehauchte Coming-ofAge-Story den besagten Bürgerkrieg, Feminismus, sexuelles Erwachen und die Macht der Fantasie mit ein. Letzteres Element ist dabei das interessanteste an diesem Film. In Nahlas Leben tritt auf einmal die neue, rätselhafte Nachbarin Madame Jiji (Ula Tabari). Nahla fühlt sich aus unerfindlichen Gründen zu der alleinerziehenden Mutter hingezogen und sucht den Kontakt. Schnell zeigt sich, dass sich im Stockwerk über ihr wirklich eine Parallelwelt aufgetan hat. Genauer gesagt, ein Bordell, das Madame Jiji leitet. Warum sollte sich hier nicht auch ihr Traummann einfinden? So quartiert sie sich nun also in einem der Zimmer ein, um auf ihren Prinzen zu warten. Gaya Jiji zeigt den käuflichen Sex natürlich nicht als richtige Alternative zum Modell der arrangierten Ehe. Aber die romantisch verklärte Sicht ihrer Hauptfigur fügt dem Geschhen eine fast schon mystische Ebene hinzu, in die man als Zuschauer gern eintaucht.
Leider stehen sich die vielen Motive dann gegenseitig im Weg. Der syrische Bürgerkrieg verkommt zunehmend zum Küchentischthema. Nahlas Schwester Line (Nathalie Issa) steht ganz auf der Seite der Rebellen, während die Mutter eine regierungstreue Linie verfolgt. Die Szenen der Konfrontation und die Aufnahme einer Rede Assads wirken im Gesamtzusammenhang eher wie die Pflichtübung, einen politischen Aspekt unterzubringen. Genauso scheint es, dass Jiji mit der maskulin auftretenden Line die Gender-Thematik mit in den Film zu bekommen versucht, auf die sie aber ebenso beiläufig eingeht. Und dann wäre da noch die Beziehung Nahlas zu ihrem Verehrer aus den Staaten. Dass sie kein Interesse an ihm hat, wird schnell klar. Als der sich dann aber für ihre zweite Schwester Myriam (Mariah Tannoury) interessiert, ist es ihr auch wieder nicht recht. Im letzten Drittel des Films nähert sich die Regisseurin dann doch wieder dieser komplizierten Beziehung. Wirklich dahinter kommt man nun aber auch nicht mehr.Diese Mankos machen »Mein liebster Stoff« natürlich noch nicht zu einem schlechten Film. Man sieht durchaus das Potential Jijis, gute und beeindruckende Langfilme zu drehen – das nächste Mal vielleicht mit mehr Fokus auf weniger. ||
MEIN LIEBSTER STOFF
Frankreich, Deutschland, Türkei 2018 | Regie: Gaya Jiji | Mit: Manal Issa, Ula Tabari u. a. | 95 Minuten | Kinostart: 10. Januar
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