In »Victory Condition« von Chris Thorpe verliert sich ein Paar im globalen Netz unserer Gegenwart.

Nora Buzalka und Till Firit in ihrer vordergründig wohlgeordneten Welt © Armin Smailovic

Sie klammern sich an Ordnung und System wie ferngesteuerte Puppen, Sie und Er. Von einer Reise kommen sie nach Hause, packen aus, putzen, kochen. Verteidigen die Sauberkeit eines Großstadtlofts mit viel Edelstahl und gepflegtem Grün gegen den Schmutz und das Chaos der Welt. Aber so sehr sie das Innen gegen das Außen abschotten, so unübersehbar ist Letzteres immer schon da. Denn Sie und Er reden davon. In einer Art separaten Tonspur, unverbunden mit dem, was sie tun im kalt-kühlen Apartment, das Alex Lowde in den Marstall gebaut hat, sprechen Nora Buzalka und Till Firit den Text von »Victory Condition«. Darin sieht sie sich mit einer Gehirnblutung an einer U-Bahn-Station liegen und zugleich als Angestellte in ein Großraumbüro kommen. Er nimmt als Scharfschütze eine politische Aktivistin ins Visier, die ihm fremd und vertraut zugleich erscheint. Sie berichtet vom rasenden Stillstand, der ihre Kollegen im Büro erstarren ließ, während sich eine Dose Granatapfelschorle zur Chiffre globalisierter Warenströme auswächst. Er beschreibt die Faszination für sein Opfer und glaubt doch an die Mission einer Ausschaltung des politischen Feindes. Immer im Wechsel sprechen die Frau und der Mann, nebeneinander her, ohne Kontakt zu dem, was sie ausführen: Boden wischen, Eier braten, den Tisch decken.

Bis sich Text und Aktion doch nicht mehr trennen lassen und das wohlgeordnete System, das Regisseur Sam Brown ganz im Auftrag des Autors Chris Thorpe von Beginn an etabliert, Risse bekommt. Dann quillt Essen aus Mündern, Wein über volle Gläser und saugen sich anbehaltene Kleider unter der Dusche mit Wasser voll. Zudem stört immer wieder ein seltsamer Dritter – Essenslieferant, Postbote, Eindringling – die labile Konstruktion.

Der britische, dezidiert politische Performer und Autor Chris Thorpe interessiert sich grundsätzlich für die Konfrontation von Perspektiven und für die so provozierte wie unausweichliche Infragestellung eindeutiger Positionen. In »Victory Condition« überflutet sein vieldeutiger Text über Formationen und Deformationen unserer Gegenwart die Ignoranz privater Zweisamkeit. Das unheimliche Paar kommt trotz seiner physischen Verdrängungsleistung nicht an gegen die realen Verletzungen und digitalen Vernetzungen einer globalisierten Welt. Entsprechend forciert die Inszenierung von Sam Brown mit der konsequenten Zweipoligkeit von Sprechen und Handeln das Bild der Entfremdung. Und die mit dem Stücktitel aufgerufene Teleologie von Computerspielen, in denen es zuallererst um den Sieg geht, wird ersetzt vom Zusammenbruch klarer Ordnung.

Eine Ordnung, die auch das Publikum nicht mehr aufrechterhalten kann, obwohl ihm von Brown die Perspektive von außen zugewiesen wird. Stehend blickt man durch eine brusthohe Öffnung in den Wohnraum. Ein privilegierter Blick ist das, im Laufe des Abends aber auch immer mehr ein Blick der Ratlosigkeit vor der Rätselhaftigkeit des Textes und dem schnell ermüdenden Spalt zwischen Spiel und Sprechen. Weshalb der nur einstündige Abend bei aller inszenatorischen Konsequenz und trotz des präzisen Spiels der Darsteller Längen entwickelt. So bleibt man doch wieder nur statischer Zuschauer, Voyeur und unberührt. ||

VICTORY CONDITION
Residenztheater – Marstall| Marstallplatz 5 | 11., 19., 28. Jan.
20 Uhr | Tickets: 089 21851940

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