Der Dokumentarfilm »RBG« feiert das Aufbegehren der obersten US-Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg gegen Selbstgerechtigkeit.
»Super Diva« steht auf dem Sweatshirt, das Ruth Bader Ginsburg im Fitnessstudio trägt. Die 85-Jährige ist Richterin am Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten und der Rockstar des amerikanischen Justizsystems. Sie gilt als belastbares Rückgrat und Gewissen des Landes, steht für öffentlichen Widerstand und ist berüchtigt für ihre vom verlesenen Urteil abweichenden Statements, die auch in der Politik ernst genommen werden. Ein Tumblr mit dem Titel »Notorious RBG«, angelehnt an den Rapper Notorious BIG, machte sie zum popkulturellen Meme, der Spitzname blieb haften. Der Dokumentarfilm »RBG« von Betsy West und Julie Cohen spürt diesem Image nach und, soviel sei gleich zu Beginn gesagt, entschlüsselt weder das Enigma noch fügt er der Ikone RBG etwas hinzu. Doch der Reiz dieses Films liegt in seinem Gespür dafür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: »RBG« ist kein objektives oder vollständiges Porträt, sondern ein bewusst parteiischer Blick auf die Ikone Ruth Bader Ginsburg, eine Feier der bescheidensten und altruistischsten Diva des Landes, einer Superheldin im Körper einer zierlichen Großmutter.
Der Film ist eine beinahe fangirlhafte Verneigung – das ist anfechtbar, und so wird etwa Bader Ginsburgs 2016 ausgeteilter Hieb gegen den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump kaum als Überschreitung ihres Verantwortungsbereiches reflektiert. Jedoch trifft »RBG«, so konventionell und subjektiv er sein mag, einen Nerv an einem Punkt in der amerikanischen Geschichte, zu dem eben solche rationalen Diven gebraucht werden. Diese Rolle füllt Ruth Bader Ginsburg aus und ist sich ihrer bei aller Bescheidenheit auch bewusst. Denn um Rollen ging es in ihrem Leben schon immer – als eine der ersten Frauen, die Jura studierten; als junge Anwältin, die niemand einstellen wollte, weil sie eine Frau war, und als Frauenrechtsanwältin der Amerikanischen Bürgerrechtsunion, für die sie wichtige Fälle verhandelte.
Der Film folgt dabei ihrer Anhörung vor dem Justizausschuss, der 1993 über ihre Berufung an den Obersten Gerichtshof entschied. Darin skizziert sie diese Fälle der Frauenrechtsbewegung bescheiden als Grundsteine ihrer Karriere. Dass sie in den 1970ern die Stellung der Frau in der amerikanischen Gesellschaft nachdrücklich beeinflusst hat, erzählen in eingewobenen Interviews Mitstreiter wie die Frauenrechtlerin Gloria Steinem, die Senatoren des Ausschusses oder Bill Clinton, der sie für den Supreme Court vorgeschlagen hatte. Als ausgleichenden Rückzugsort zeichnen die Filmemacherinnen die Beziehung zu ihrem Ehemann nach, der auch für heutige Verhältnisse ein fortschrittliches Verständnis von Aufgabenteilung in der Familie hatte und die Ernsthaftigkeit seiner Frau mit Witz und Leichtigkeit aufwog. Die beiden gemeinsamen Kinder erzählen von einem Büchlein, das sie damals führten, in dem sie notierten, wann ihre Mutter einmal lachte – viele Einträge hatte das nicht, kichern sie. Tiefe Zuneigung spricht aus der Akzeptanz dieser als Schrulligkeit lesbaren Besonnenheit.
Doch gerade diese ist es, die Ruth Bader Ginsburg und »RBG« als Statement so wichtig macht: Besonders das Archivmaterial aus dem Justizausschuss ist elektrisierend, liest man es vor dem Hintergrund von Brett Kavanaughs Anhörung vergangenen Oktober, der mehrere Tage wütete, misogyne Ansichten zur Schau stellte und sich ganz offen institutionelle Ungleichheit zunutze machte. Die USA brauchen diesen Hoffnungsschimmer, dass es noch rationale und intelligente Verfechter der Gerechtigkeit gibt, die sich gegen selbstgefällige Tendenzen stellen. Dass gerade sie als Diven gelten, ist bezeichnend. ||
RBG
Dokumentarfilm | USA 2018 | Regie: Betsy West und Julie Cohen | Mit: Ruth Bader Ginsburg, Bill Clinton, Orrin Hatch, Sharron Frontiero, Gloria Steinem | 98 Minuten
Kinostart: 13. Dezember
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