Die Legende lebt, nun schon über 70 Jahre: die Fotoagentur Magnum, eine Kooperative von Individualisten. Der Reichtum ihrer Geschichte ist im Kunstfoyer München zu erleben.

Mythos Magnum: Die unabhängige Fotografenagentur schrieb Geschichte und ist Legende. So sollen fünf junge Fotografen beim Lunch im Restaurant des New Yorker Museum of Modern Art, zwischen sich eine Magnumflasche Champagner, die Kooperative ins Leben gerufen haben: Robert Capa, William Vandivert, Henri Cartier-­Bresson, George Rodger und David Seymour. Capa war die treibende Kraft, als »Magnum Photos, Inc.« am 22. Mai 1947 ins Handelsregister des County of New York eingetragen wurde. Der Pariser Cartier­Bresson fotogra­fierte damals in Amerika für sein erstes Buchprojekt und zeigte in Los Angeles seinen Kriegsgefangenenfilm »Le Retour«, Seymour arbeitete in der Normandie an einer Repor­tage für »This Week«, der Engländer Rodger hatte gerade für das Magazin »Illustrated« die Kriegsfolgen in Nordafrika doku­mentiert und hielt sich in Zypern auf. Capa wiederum arbeitete in New York gerade an seinem Bericht über die Landung der alliierten Streitkräfte in der Normandie. Im Blick zurück auf den Zweiten Weltkrieg machten sich die Fotografen auf in eine neue Zukunft und bündelten mit der eigenen kooperativen Agentur ihre Kräfte beim Vertrieb ihrer Arbeiten.

Zu diesem Jubiläum wurde die Ausstellung »MAGNUM MANIFESTO« letztes Jahr von Clément Chéroux kuratiert und ist nach New York und Rom nun, auf einziger Deutschland­-Station, in München zu sehen. Die Präsentation im Kunstfoyer der Versicherungskammer ist dessen zwölfte Kooperation mit Magnum, und diese Retrospektive nun stellt sich die keines­wegs leichte Aufgabe, die gesamte Bandbreite von dem zu zei­gen, was das Fotografenkollektiv ausmacht. Was sie verband, war ihre Neugier auf die Welt und ihr Humanismus; Spannungen gab es schon, als die Gründer 1947 das Büro in New York (und gleich auch eines in Paris) einrichteten und zehn Mitglie­der aufnahmen, und dann in der langen Geschichte – als immer wieder Neue dieser Kollektivorganisation der Individu­alisten beitraten: zwischen einer eher dokumentarischen und einer eher künstlerischen Haltung, zwischen amerikanischer und europäischer Kultur, zwischen Auftragsarbeit und indivi­duellem Œuvre, zwischen Einzelgängern und Gruppen.

Auch dass die Agentur in der Folge mit dem rasanten Wan­del des Fotografiemarktes mithalten musste, sorgte verständli­cherweise für Spannungen. Und: 50 Prozent der Einnahmen gingen an die Agentur, aber nicht alle Fotografen erzielten mit ihren Projekten überhaupt Gewinn. Auch der innere Grundwi­derspruch des fotografischen Anspruchs zwischen Journalis­mus und Kunst drohte das ein oder andere Mal, das Kollektiv zu zerreißen, markiert aber gleichzeitig deren ethischen und ästhetischen Antrieb und macht die besondere Qualität der Fotografien aus. Und das eben von Beginn an: Robert Capa stand für das Konzept des Fotoreporters, während Henri Car­tier-­Bresson seine Bilder als Kunst verstehen wollte. Magnum blieb ein Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen der Sicherheit, den die prestigeträchtige Verbindung schenkt, und der Tatsache, dass diese Organisationsform trotz­ dem keine finanzielle Absicherung bietet. Es steht der Frei­heitsgeist all dieser Fotografen gegen den Auftrag von außen, dem man sich als Freischaffender nicht immer verwehren kann. So besteht Magnum sozusagen aus Widersprüchen, was es umso schwieriger macht, eine nachvollziehbare Ordnung in die Materialfülle zu bringen. Kuratorisch entschied man sich gegen die bei Jubiläen sonst beliebte Methode, von jedem Mitglied ein ikonisches Werk zu zeigen, sondern entwickelte ein dreitei­liges, chronologisches System, nach dem sowohl die Ausstel­lung als auch die zugehörige Publikation gegliedert wurde.

Am Anfang sind die kleinformatigen Schwarz­-Weiß-­Foto­grafien zu wolkenähnlichen Gebilden konstelliert und erzäh­len unter dem Motto »Menschenrechte/Menschliches Unrecht (1947–1968)« die Geschichte der Nachkriegszeit. Von einer Generation, die das Gute im Menschen erst wiederfinden musste und daran glauben wollte, dass es sich bei der Welt am Ende doch noch um eine große »Menschheitsfamilie« han­delte. Ganz in diesem Geist steht auch eines der ersten Grup­penprojekte von Magnum namens »Generation X«. Der Auftrag an seine Fotografen lautete, jeweils einen jungen Mann und eine junge Frau in seinem/ihrem Alltag zu begleiten, um die hoffnungsvolle Nachkriegsgeneration zu porträtieren. Dieses erste Kapitel von Magnum spielte während der Blütezeit der illustrierten Zeitschriften, und die Bilder stehen im Zeichen eines fotografischen Humanismus und machten Schule, wie etwa Werner Bischofs Foto einer Mutter mit Kind in einem Hungergebiet Indiens.

Das zweite Kapitel »Inventar der Differenzen (1969–1989)« lässt sich in einer Epoche des wachsenden Konsums und Indi­vidualismus lokalisieren. Darin besteht auch der erste Wandel in der Einstellung der Agentur. Nach den Aufbrüchen von 1968 fanden die Mitglieder es interessanter, Unterschiede und Eigenheiten der Menschen zu entdecken und nicht den gemeinsamen Nenner. Nun finden sich neben den ehemals dominierenden Schwarz-­Weiß­-Aufnahmen zunehmend Foto­grafien in Farbe. Da zeitgleich auch der Trend der Illustrierten zurückging und das Fernsehen dem Print den Kampf angesagt hatte, fanden die Fotografen in den Fotobüchern ein neues Medium, um ihr Werk zu vermitteln. Diese zeigten nicht nur Motive von »Fotokünstlern«, sondern meist auch – zu einem Thema zusammengestellt – die persönliche Einstellung des Fotografen zu dem Abgelichteten, wie in dem Projekt »Rich and Poor« von Jim Goldberg mit u. a. einer drogensüchtigen Prostituierten.

Der Abschnitt »Endzeitgeschichten (1990–heute)« wird geprägt vom Ende des geteilten Deutschlands, dem Ende des Kalten Krieges – und auch dem Ende der Ära der analogen Fotografie. Die ausgestellten Bilder werden bunter und größer. Dieses Ende beginnt für Magnum mit einem Ausbau. Die Agentur weitet ihren Spielraum aus, konzipiert immer mehr Ausstellungen, bietet Workshops und Festivals an. Besonders bizarr in diesem Zusammenhang ist das Projekt »Postcards from America«, in dem das Fotografenkollektiv die Schließung der Kodak­-Produktionsstätte in Rochester fotografierte und damit nicht nur das Ende dieser ruhmreichen Firma von Film­material und Fotoausrüstung zeigt, sondern auch auf die umstrittene und unklare Zukunft des Mediums selbst hinweist. Neben den drei Teilen der Ausstellung wird in einem separaten Raum eine Slideshow gezeigt. Zu sehen sind hier Motive vom Akt des Fotografierens sowie Zitate von Magnum­-Fotografen über Magnum, die das Wesen der Agentur abschließend auf einen gemeinsamen Nenner bringen, nämlich den, dass es kei­nen gibt. Für David Seymour ist Magnum »something of a miracle«, für John G. Morris »a paradox« und für Marc Riboud »simply the best«.

Magnum zeigt sich in dieser Jubiläumsausstellung als ein faszinierend vielfältiges Kollektiv und Archiv von Fotografen und Fotos, Ideen und Individuen, das trotzdem als Ganzes zu funktionieren scheint. Mit den Jahren und Bildern wurde Mag­num – und blieb bis heute – Legende. Es bleibt die Frage, wie es mit dieser einzigartigen Agentur weitergehen wird und wel­che ikonischen Bilder man in Zukunft von ihren Mitgliedern erwarten darf. ||

MAGNUM MANIFESTO
Kunstfoyer| Maximilianstr. 53 | bis 27. Januar 2019
täglich 9–19 Uhr (24/25./31. Dez. geschlossen)
Eintritt frei | Führungen: 11./27./29. Nov., 8./20. Dez., 12./16./18./22./24. Jan., jew. 12 und 18 Uhr
Der Katalog (Schirmer/Mosel, 416 Seiten, 450 Abb.) kostet 49,80 Euro

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