Ob fiktional oder dokumentarisch, das Filmschoolfest schafft es wieder, neue Perspektiven für unsere Zeit zu transportieren.
Es gibt Welten, die will man nicht kennen. Dazu gehört die menschenverachtende Welt der Sexforen im Internet und die dortigen Kundenbewertungen von Prostituierten. Aber genau hierhin führt »Worth Every Penny« von Ricardo Werdesheim. Er setzt einzelne Kommentare dieser Foren in Animationsepisoden um. Das Ergebnis ist faszinierend und abstoßend zugleich und zählt zu den herausragendsten Beiträgen des diesjährigen Filmschoolfests.
Knapp fünfzig Kurzfilme aus den verschiedensten Ländern wurden wieder zusammengetragen. Die Eindrücke, die das Publikum bekommt, sind nicht immer schön oder leicht verdaulich, aber bitter nötig. Der subjektive Blick des Regisseurs schafft es schließlich, dem Zuschauer die harte Realität emotional begreifbarer zu machen als ein zweiminütiger Nachrichtenbeitrag. Ein Beispiel ist der israelische Beitrag »TERROR« von Yonatan Shehoah. Der Film begleitet einen Supermarktmitarbeiter, der Opfer eines Terroranschlags wurde. Sowieso die ganze Zeit angespannt, spitzt sich die Situation zu, als er bei den arabischen Kollegen an der Metzgertheke aushelfen soll. Shehoah konzentriert sich hier auf das Individuum, das in einem Netz aus realer Bedrohung und unbegründeter Paranoia gefangen ist.
Bei Bishal Duttas »Undocumented« spricht bereits der Titel Bände. Der Regisseur begleitet einen jugendlichen Latino ausden USA, der im Bewusstsein der Gesellschaft als Person überhaupt nicht existiert. Sein einziger Lichtblick ist, doch irgendwann als Künstler erfolgreich zu werden. Böden will er nicht auf ewig wischen, dass andere jahrzehntelang nichts anderes gemacht haben, kann er nicht verstehen. Ob er allein mit Selbstvertrauen und Kreativität die Armut verlassen kann, ist jedoch ungewiss.
Aber auch auf anderer, rein filmischer Ebene wissen die diesjährigen Beiträge zu überzeugen. Nolan Kresnak erzählt in »Hounds of Love« vom folgenschweren Lotteriegewinn einer Teenagerclique, die daraufhin in Drogensucht und Egoismus versinkt. Das alles kommt auf den Zuschauer in einer Harmony Korine-artigen Videoclipästhetik zugeschwappt, die sich irgendwo zwischen luzidem Traum und Drogentrip bewegt. Auch der HFF-Beitrag »Squash« von Maximilian Bungarten bewegt sich in surrealen Gefilden. Die Hierarchie der Arbeitswelt wird hier als kafkaeskes Sportmatch ausgefochten, bei dem nicht nur Schweiß, sondern auch Blut fließt.
Aus dem Coming-of-Age-Genre sticht der niederländische Film »Siren« von Zara Dwinger heraus. Was wie eine Liebesgeschichte beginnt, entwickelt sich für den Hauptprotagonisten zur Konfrontation mit der eigenen sexuellen Identität. Es ist großartig zu sehen, wie die Genderthematik hier ohne Pauken und Trompeten auskommt, sondern mit ruhigen Tönen. Die ganze Intimität des Themas transportiert »Siren« so perfekt. Es lohnt sich also, sich auf all diese Welten – egal ob angenehm oder abschreckend – einzulassen. So viele auf einmal wie auf dem Filmschoolfest bekommt man sowieso selten. ||
FILMSCHOOLFEST MUNICH
18.–24. November
Programm
Das könnte Sie auch interessieren:
Ingeborg Bachmann: Kritik zum Film von Margarethe von Trotta
Tony Cokes im Haus der Kunst und im Kunstverein
Schweigend steht der Wald: Der Film von Saralisa Volm
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton