Im Residenztheater machte Regisseur Frank Castorf aus Molières »Don Juan« gleich zwei Verführer.

Brutale Spaßgesellschaft (Ensemble) | © Matthias Horn

Dass der Regisseur Frank Castorf sich an einem vorhandenen Dramentext abarbeitet, ist eher selten. Im Residenztheater hält seine Inszenierung von Molières »Don Juan« noch mehr Überraschungen bereit. Mit nur 4¼Stunden ist sie für Castorf-Verhältnisse beinahe kurz, zudem bleibt das Originalstück im Ablauf erkenntlich. Aber es wäre kein Castorf ohne die üblichen Zutaten: die verwinkelte Drehbühne von Aleksandar Denić, Video-Aufnahmen aus deren uneinsehbaren Ecken, die Anreicherung mit Fremdtexten – hier von Georges Bataille, Heiner Müller, Blaise Pascal und Puschkin. Halb nackte Frauen auf High Heels und eine geflügelte Todesengelin fehlen ebenso wenig wie die unvermeidliche Kolonialismusdebatte. Die wird im Residenztheater nicht nur durch eine farbige Darstellerin als Sex-Objekt beglaubigt, sondern auch durch drei sorgsam gecastete lebende Ziegen mit schwarzem Brustkörper und weißem Hinterteil. Welche Hälfte beutet da die andere aus?

Don Juan, der größte Frauenverführer des Abendlands, geisterte schon als Sagengestalt durch die Literatur, ehe ihn Tirso de Molina 1624 auf die Bühne brachte. Mozart verhalf ihm 1787 als »Don Giovanni« zu Weltruhm. 1665 schrieb Molière seinen »Don Juan«. Ihn interessierte weniger der notorische Erotomane, sondern der zynische, hedonistische und atheistische Freigeist, der ohne Skrupel alle gesellschaftlichen Schranken ignoriert und überschreitet. Castorf spaltet ihn auf in einen schon etwas abgelebten Playboy (Aurel Manthei) und sein jungenhaftes, rotzig-freches Alter Ego (Franz Pätzold). Die sitzen in der ruhigen Eröffnungsszene beim polit-philosophischen Disput vor einem wunderbaren Barocktheaterchen, wobei der junge Juan zwar Texte, aber nicht die Rolle des in dieser Fassung nicht explizit vorhandenen Dieners Sganarelle übernimmt. Allonge-Perücken, Barock-Kostüme, modische Sonnenbrillen (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) – Popstars ihrer Zeit. Die verlassene Ehefrau Donna Elvira rauscht herein – einer der leider nur zwei furiosen Auftritte von Bibiana Beglau. Sie wird schnöde abserviert mit der ehrlichen Begründung, Juan habe sie satt, und wie eine Puppe abtransportiert.

Szenenwechsel: Bauernhütte mit Ziegenstall und Badezuber, die Juans, vom Bauern Pierrot aus einem gekenterten Boot gerettet, bleiben lange und schamlos pudelnackt. Pierrots Verlobte ist trotzdem hingerissen. Ein Bad zu dritt im Zuber, schon kriegt Pierrot den Laufpass. Marcel Heupermann und Nora Buzalka sind die heimlichen Hauptdarsteller: Sie kokett pragmatisch, er tumb und treu, aber nicht doof (Heupermann schlüpft später auch in den Sganarelle-Part). Immer wieder diskutieren die Juans ihre Weltsicht, dazwischen Videos von Fressgelagen, dem Besuch des Moral predigenden Vaters (Jürgen Stössinger), räkelnder Bettgespielinnen (Farah O’Bryant). Und Filmausschnitte aus Fellinis »La dolce vita« mit Marcello Mastroianni als ziellosem Hedonisten. Julien Feuillet wuselt französisch parlierend in Chargenrollen herum, man weiß nicht, warum, er stört aber nicht. Diese zynischen Genuss-Abzocker sind nicht zu bekehren, so kann sie der Komtur getrost in die Hölle befördern. Dann ist tatsächlich – auch das neu bei Castorf – das Stück aus. ||

DON JUAN
Residenztheater| 30. Sept., 13., 28. Okt. | 18 Uhr
Tickets: 089 21851940

 


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