Die Münchner Philharmoniker feiern ihren 125. Geburtstag mit opulentem Programm und einem Buch zur Orchestergeschichte.

Die Münchner Philharmoniker im September 1910 bei einer Probe zur Uraufführung von Gustav Mahlers 8. Symphonie in der neuen Musikfesthalle auf der Theresienhöhe | © MPhil

Der Vertrag ist verlängert, Chefdirigent Valery Gergiev bleibt den Münchner Philharmonikern auf deren Wunsch hin – und trotz anhaltend kritischer Stimmen zu seiner Putin-Loyalität – bis 2025 erhalten. Davor stehen dem Orchester der Stadt die größten Veränderungen seit Jahrzehnten ins Haus, auch wenn der Weg dorthin noch weit scheint: Vom Dezember 2020 an, wenn der Gasteig samt Philharmonie runderneuert wird, soll das Ausweichquartier an der Hans-Preißinger-Straße in Sendling bespielt werden. Auf dem städtischen Gelände dort, in der Industriehalle E, dem künftigen Foyer des geplanten provisorischen Konzertsaals, fand im Mai die Vorstellung der kommenden Saison statt, die im Zeichen der Orchestergründung vor 125 Jahren stehen wird.

»Brücken bauen« lautet das hoffnungsfrohe Motto, und unter den emsigen Planungen und Aktivitäten sticht eine besonders heraus: Wie schon jüngst die Bayerische Staatsoper ließen nun auch die Philharmoniker ihre NS-Vergangenheit wissenschaftlich untersuchen. Den Auftrag übernahm der Münchner Theaterwissenschaftler Sebastian Stauss, dessen Studie im Herbst erscheinen soll. Ein Auszug daraus ist im Saisonprogramm 2018/19 vorabgedruckt. Im Gespräch macht Stauss Grundzüge seiner Arbeit deutlich, die zum ersten Mal ein systematisches und differenziertes Bild der Philharmoniker im Dritten Reich zeichnet: »Diskutabel« sei die noch in der Festschrift zum 100-Jahre-Jubiläum zitierte Berufung auf ein Dokument, das 1933 attestierte: »So hart es klingt, muß die Einstellung der Mehrheit des Orchesters (…) durchaus nicht als nationalsozialistisch bezeichnet werden. Es sind vielmehr noch starke Überreste eines marxistischen Gewerkschaftsgeistes festzustellen.«

Stauss konstatiert dagegen im Orchester deutliche Konflikte, ungeachtet seines »roten Rufs« in der Zwischenkriegszeit: Die ideologischen Gräben wurden »insbesondere nach dem Krieg, in den Entnazifizierungsverfahren« offensichtlich. Darüber hinaus legt Stauss institutionelle Verflechtungen wie die Übernahme der Trägerschaft durch die »Hauptstadt der Bewegung« offen und verfolgt Kontinuitäten zurück in die Zwanzigerjahre, als Orchesterleiter Siegmund von Hausegger (er sollte 1933 den denunziatorischen »Protest der Richard-Wagner-Stadt München« mitunterzeichnen, der Thomas Mann ins Exil zwang) bereits einen stramm nationalen Kurs einschlug. Die Gleichschaltung machte dann auch vor den Philharmonikern nicht halt: Man trennte sich von jüdischen Mitgliedern wie dem Konzert meister Carl Snoeck und ging als Aushängeschild der NS-Metropole auf Tournee, später zu Propagandazwecken auch in annektierte Gebiete. Mit seinen Bruckner-Interpretationen, etwa bei der Enthüllung der Bruckner-Büste in der Walhalla 1937 und im Rahmen von SS-Konzerten, begründete Hausegger eine Tradition, die sein politisch eher naiver Nachfolger Oswald Kabasta, der sich 1946 das Leben nahm, fortsetzte. Unter anderen Vorzeichen (»Musik kann man immer umcodieren«, resümiert Stauss) bildet sie eine Konstante über die Nachkriegsjahre bis in die legendäre
Ära Sergiu Celibidaches und in die Gegenwart. Auf einer Tutzinger Tagung (»Musik macht Politik. Politik macht Musik«) mit hochkarätigen Referenten wird Stauss seine Thesen am 22. September abermals zu Diskussion stellen.

Wie dazu passend, verabschiedeten das Orchester und sein Chef gerade die alte Saison mit Bruckners Achter. Mit der Neunten, Zweiten und noch einmal der Achten geht es im September auch gleich in die neue und dann weiter nach St. Florian, wo Gergievs Bruckner-Symphonien-Zyklus fortgesetzt und aufgenommen wird. Nach dem Auftakt, den jüngst erschienenen CDs mit der Ersten und Dritten, ist dabei durchaus Skepsis angebracht: Auch wenn eine besondere Aura das imposante oberösterreichische Augustinerchorherrenstift mit dem Grab des Komponisten umgeben mag, hat Bruckner doch keine einzige seiner Symphonien für diesen akustisch heiklen Kirchenraum komponiert. (Hitler fantasierte noch, St. Florian zur Festspielstätte und zum »Bayreuth für Bruckner« umzugestalten.) Der exquisite Liveeindruck eines Konzerts dort soll gar nicht in Abrede gestellt werden. In den beiden Aufnahmen kann aber selbst die beste Tontechnik das Verschwimmen der Konturen nicht verhindern. Alles tönt wie in Hall gebettet: Bruckner in Aspik. Für Gergiev ist dieser Zyklus Neuland und, siehe oben, gleichzeitig ein Prestigeprojekt, aber das stößt nach wie vor hörbar an Grenzen. Liegt es daran, dass er bisher keinen rechten Zugang zur Grammatik der Bruckner’schen Klangsprache gefunden hat, oder mangelt es nur an penibler Probenarbeit? Die Premiere der Achten jedenfalls wirkte über weite Strecken forciert, ungeschliffen, ohne Balance, sie geriet stellenweise (Blechbläser im ersten Satz) sogar völlig aus dem Takt. Vom häufig beschworenen Niveau der (keineswegs sakrosankten) Bruckner-Exerzitien Celibidaches war das himmelweit entfernt, ebenso von der modern anmutenden radikalen Klarheit Günter Wands, die ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2000 dokumentiert.

Musikalische Freuden kurz vor Saisonende spendeten dann stattdessen die Debüts der Gastdirigenten Jakub Hrua (Janácek, Beethoven, Dvorák) und François-Xavier Roth (Ravel, Elgar, Bartók); das Orchester dankte es ihnen mit spieltechnischer Bravour, die Lust auf baldige Wiederbegegnungen weckte. Die kommende Saison wartet mit anderen illustren Namen der jüngeren Dirigentengeneration auf: Pablo Heras-Casado, Krzysztof Urbanski und Gustavo Dudamel etwa, auch die vielseitige Barbara Hannigan ist wieder dabei. Dazu geben sich Solisten von Rang die Ehre. Gergiev selbst konzertiert unter anderem mit den Klavierstars Yuja Wang, Denis Matsuev und Daniil Trifonov (beim Open Air »Klassik am Odeonsplatz«). Im Festkonzert am 13. Oktober, das gleichzeitig das Festivalwochenende »MPHIL 360°« eröffnet, erklingt unter Gergievs Leitung Gustav Mahlers überlebensgroße achte Symphonie; im März wird er ein Auftragswerk Wolfgang Rihms uraufführen. Und wenn das Jubiläum vorbei ist, fängt die Arbeit erst richtig an, denn dann rücken die Gasteig-Sanierung und der Umzug nach Sendling immer näher. ||

MÜNCHNER PHILHARMONIKER 125
Gasteig – Philharmonie| ab 19. Sept.| jeweils 20 Uhr
Tickets: 089 548181400

 


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