Christian Stückl inszenierte in Oberammergau mit Laien Schillers »Wilhelm Tell«.

In der hohlen Gasse erledigt Tell (Rochus Rückel) den fiesen Gessler (Andreas Richter, vorne) | © Arno Declair

Als historische Figur hat’s Wilhelm Tell vermutlich nie gegeben. Aber als Mythos des Freiheitshelden ist er seit dem 16. Jahrhundert fest verankert in Sagen, Legenden und Literatur. Friedrich Schiller machte ihn mit seinem Drama »Wilhelm Tell« 1804 zum Inbegriff des Widerstandskämpfers, betont allerdings, dass Tell nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Motiven handelt. Beim Rütli-Schwur ist er gar nicht dabei. Dennoch vereinnahmt ihn die Schweizer Nationalgeschichte als Befreier vom habsburgischen Joch. Im Passionstheater Oberammergau hat Christian Stückl das relativ selten gespielte Werk mit den theaterbegeisterten Oberammergauer Laien inszeniert. In zwei Jahren stehen die Passionsspiele an, da braucht der Regisseur ein personenreiches Stück quasi als Casting potenzieller Darsteller. Im Oktober wird man erfahren, ob der junge Tell Rochus Rückel dann seine Leidensfähigkeit am Kreuz beweisen und auf Querschüsse verzichten muss.

Um 1300 kontrollieren die Habsburger die Schweizer Gebiete (heute Kantone, damals Waldstätten genannt) Uri, Schwyz und Unterwalden mit harter Hand. Christian Stückl setzt die Auswirkung dieser Besatzung gleich mit Bürgerkriegs-Situationen wie in Syrien: Die Bühne von Stefan Hageneier reiht schwarze, zerstörte, ausgebrannte Kastenräume nebeneinander auf. Ein verheertes Land. Die Milizen des habsburgischen Gouverneurs Gessler in schwarzen SS-Uniformen prügeln mit Schlagstöcken ein auf Schweizer Männer im universalen Guerilla-Look in Tarnfarben mit Barett und Jagdgewehr. Die Armbrust ist allerdings unverzichtbar beim legendären – raffiniert verzögerten – Apfelschuss, der den unpolitischen Tell zum Mord an Gessler treibt.

Rochus Rückel kämpft sich als sehr junger, agiler Lockenkopf wacker durch Schillers Jamben in der straff gekürzten Stückfassung. Dem despotischen Gessler verleiht der frühere Jesus-Darsteller Andreas Richter mit blonder Perücke Züge von Klaus Kinski, nie übertrieben, immer aasig gefährlich. Als alter Attinghausen zeigt Peter Stückl eindrucksvoll seine lange Bühnenerfahrung.

Schiller hat den Frauen großes Mitspracherecht eingeräumt: Gertrud Stauffacher (Regina Raggl) berät ihren Mann politisch, Tells Frau Hedwig (Sophie Schuster) stärkt ihm trotz der Sorge um die Kinder den Rücken, die adlige Berta von Bruneck (Eva Reiser) ist so emanzipiert und freiheitsbewegt, dass sie ihren Anbeter Ulrich von Rudenz (Martin Güntner) vom Habsburger-Mitläufer zum Widerständler bekehrt. Szenisch kann Stückl mit den ersten beiden wenig anfangen – sie schleppen Putz- und Wassereimer, was man in einem zerbombten Dorf eben so tut. Der Komponist und musikalische Leiter Markus Zwink mischt mit seinem 100-köpfigen Chor und Orchester spannungsreiche, dennoch dezente Klänge mit vielen Zwischentönen ins Geschehen bis hin zum nationalen Freiheitsrausch. Schillers »Tell« endet als Ideendrama: Tell diskutiert mit dem flüchtigen Kaisermörder Herzog Johann (Abdullah Karaca) die Rechtfertigung eines Tyrannenmords. Stoff zum Nachdenken. ||

WILHELM TELL
Passionstheater Oberammergau
10./11. Aug.| 20 Uhr | Tickets: 08822 9458888
Shuttlebus (19 Euro) um 16.30 Uhr ab Münchner ZOB, Arnulfstr. 21

 


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