Was genau mit »jüdischem Besitz« geschah, zeigt eine instruktive Ausstellung zu Erwerbungen des Münchner Stadtmuseums in der NS-Zeit.
»Sicherstellung«, »Abwicklung«, »Verwertung« – das klingt noch sachlich gut, wenn Eigentum in problematischen Zeiten gefährdet ist. Doch wenn wie in den Jahren 1933 bis 1945 der Oberbegriff dazu »Arisierung« lautet, tut sich ein ganzer Problemhorizont auf. Als erste Münchner Institution stellt sich nun das Stadtmuseum seiner Geschichte in den Jahren der »braunen Kulturbarbaren«: Ausstellung und gehaltvoller Katalog sind das Ergebnis einer von 2011 bis 2015 laufenden Recherche der Provenienzspezialistin Vanessa-Maria Voigt zusammen mit Museumskurator Henning Rader. Sie haben die Sammlungsgeschichte des Hauses kritisch durchforstet – in die zwölf Jahre nationalsozialistischer Enteignungspolitik fallen 20 000 Erwerbungen. Einerseits reizvoll und spannend, andererseits entlarvend und eminent schwierig: Im Unterschied etwa zum »Fall Gurlitt« handelt es sich überwiegend um Alltagsgegenstände – von Textilien und Mode über Porzellan, Besteck und Tafelsilber bis hin zu Möbeln, Musikinstrumenten sowie Grafiken und Gemälden überwiegend regionaler Künstler.
Der gemäß der Steigerung judenfeindlicher NS-Gesetzgebung zunächst notwendige, schließlich erzwungene Verkauf bis zur finalen Enteignung und der oft als »Beschlagnahme« getarnte Raub sind in solchen Fällen deutlich schwieriger zu rekonstruieren als bei »Kunst von Weltgeltung« – vom persönlichen Wert vieler Gegenstände ganz zu schweigen, die für die Lebensgeschichte der Menschen stehen. Der Stil der Präsentation spiegelt angemessen die inhumane Vorgehensweise und das mangelhafte Unrechtsbewusstsein der leitenden Beamten wider, die nach 1945 meist in Amt und Würden blieben: Nach einer Videosequenz von den Lagerräumen dominieren mehrere schmucklose Glasvitrinen, die die »Depot-Verwahrung« vorführen – Gegenstand undKarteikarte, Vermerke zu »Schenkung« oder »Ankauf« auf einer der vielen von der Gestapo oder NS-Institutionen initiierten Versteigerungen. Goebbels’ hämische Prophezeiung »Die Volksgenossen werden sich wie Hyänen auf diese Sachen stürzen« bewahrheitete sich.
Museumsdirektor Konrad Schießl – zum Beispiel – ging fast tagtäglich am Modehaus Rothschild in der Sendlinger Straße vorbei, war womöglich bis zur Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gelegentlicher Kunde. Vom »Liquidator« des danach brettervernagelt gesicherten Ladenbestandes darauf hingewiesen, erwarb Schießl am Jahresende 1938 aus dem Archiv der Firma Rothschild 92 historische Hüte zu je 1 Reichsmark. In seinem durch beschönigende »Persilscheine« von Mitarbeitern und »alten Kameraden« deutlich verkürzten Entnazifizierungsverfahren betonte Schießl, aufgrund seiner Anti-NS-Gesinnung »kulturell wertvolle Objekte vor der Vernichtung«, Gegenstände aus Kupfer oder Edelmetall vor der »Einschmelzung« gerettet zu haben – und wurde bereits im Dezember 1945 erneut als Direktor eingesetzt. Der hier angebrachten Beschämung und Verbitterung steht immerhin nun ein Positivum gegenüber: 2016 konnte das Museum die in England lebenden Erben ausfindig machen; 2017 besuchten sie das Museum samt Hutsammlung, und eine Einigung ist in Verhandlung. Bei bislang 450 von etwa 2600 problematisch erworbenen Museumsobjekten mit dem Vermerk »Ehem. Jüdischer Besitz« – so auch der Ausstellungstitel – konnte die Provenienz geklärt werden: aus Inventarbüchern oder Annotationen in Versteigerungskatalogen, durch Vermerke oder Etiketten auf Rück- und Unterseiten, anhand privater oder »dienstlicher« Fotografien jener Jahre. Dies ist bei langjährig eingeführten Firmennamen leichter.
So werden neben dem Modehaus Rothschild auch die NS-Enteignung des Antiquitätenhändlers Siegfried Lämmle und der weltweit renommierten Kunsthandlung Bernheimer gezeigt und im Katalog detailliert offengelegt. Die Sammlung des Generaldirektors der Cenovis-Nährmittelwerke und Löwenbräu-Vorstands Julius Schülein verdeutlicht exemplarisch die Rolle des 1936 gegründeten Auktionshauses Weinmüller. Die personellen Verflechtungen im nationalsozialistischen Kunsthandel demonstriert auch der Fall des 1938 von der Gestapo verhafteten Industriellen und Zen trumspolitikers Albert Hackelsberger, dessen Besitz als »Sammlung Schloß Tutzing« versteigert wurde. Das kriegsbedingte Fehlen vieler Leihhaus-Unterlagen, wo für Zwangsverkäufe Spottpreise gezahlt wurden, erschwert oder verhindert die Aufklärung vielen Unrechts.
Nachzeichnen lässt sich hingegen das Schicksal der Marionettenkünstlerin Maria Luiko: ihre offizielle Ausbildung an Münchens Kunstakademie; ihre ersten Theaterarbeiten bei Emil Preetorius und Artur Kutscher; die Verbannung der jungen, hübschen Frau aus dem deutschen Kulturleben von 1933 bis 1937; ihr ungewisses Schicksal bis 1941 – bis zum Abtransport am 20. November und ihrer Ermordung am 25. November bei den ersten Massenerschießungen in Kaunas durch das Einsatzkommando 3. Durch »Aufbewahrung« bei einem Freund haben »überlebt«: sechs Marionetten mit stilistisch beeindruckendem expressionistischem Ausdruck – die letzte Vitrine, die den kulturellen Verlust durch die NS-Barbarei schmerzlich nachvollziehen lässt. Und das »Nie wieder!« verfestigt. ||
EHEM. JÜDISCHER BESITZ
Münchner Stadtmuseum| St.-Jakobs-Platz 1 | bis 23. September | Di bis So 10–18 Uhr | Der informative Katalog (Hirmer, 273 S., 240 Abb.) kostet 34,90 Euro | Kuratorenführung: 20. Juni, 18. Juli, 1. August, 19. September, jew. 16 Uhr | Am 11. und 20. Juli, 14. August, 12. Septembergibt es die Möglichkeit, der Provenienzforscherin Carolin Lange von Erbstücken aus jenen Jahren und der dazugehörenden Familiengeschichte zu erzählen | weitere Führungen und Veranstaltungen
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