Dieses Programm hat es in sich. Auf dem Filmfest München wird geschossen, geschlagen, geliebt und gezaubert. Diese Filme sollten Sie auf keinen Fall verpassen.
Bei dieser Szene weiß man nicht sofort, wie man reagieren soll: Ein Polizist hält eine Rede bei der Beerdigung seiner Mutter. Die anfängliche Unsicherheit weicht bald einem hemmungslosen Weinkrampf. Der wiederum wird abgelöst durch Wut über den nicht funktionierenden Kasettenrekorder. Es gipfelt alles in einer von Schluchzen und Heulen begleiteten Tanzperformance, bis man den jungen Mann von seiner Aufgabe entbindet. Diese zehn Minuten sind trotz der nüchternen Kameraarbeit packend und aufwühlend. Gleichzeitig lacht man aber doch in sich hinein, das Geschehen auf der Leinwand ist einfach zu übertrieben. Irgendwo dazwischen ist man einfach irritiert und fragt sich, wo das alles jetzt hinführen soll.
Auf dem diesjährigen Münchner Filmfest ist Jim Cummings’ »Thunder Road« also schon mal ein Pflichttermin. Der Versuch von Officer Jim Arnaud (gespielt von Cummings selbst), mit seinem Leben zurechtzukommen, ist ein fast dokumentarisch inszenierter Balanceakt zwischen Komik und Tragik. In der Reihe der International Independents findet sich gleich der nächste Polizist, der die Nerven verliert. Cory Bowles’ Spielfilmdebüt »Black Cop« ist ein zynischer und satirischer Kommentar zu den rassistischen Strukturen des US-amerikanischen Polizeiapparates. Ein schwarzer Polizist wird selbst Opfer der Willkür seiner Kollegen. Er reiht sich nun aber nicht in die nächste »Black Lifes Matter«-Demo ein, sondern dreht den Spieß um: Mit sadistischem Kalkül terrorisiert er die weiße Mittel- und Oberschicht, schikaniert und prügelt sich durch die Menschen, die bisher in Sicherheit lebten. Bowles’ Film ist auch eine bittere Studie über die Identität. Als Afroamerikaner ist sein Protagonist Opfer, als Police Officer steht er auf der Seite der Täter, immer ein Leben zwischen den Stühlen. »Black Cop« ist somit sicher einer der Filme, die in diesem Jahr das größte Diskussionspotenzial haben.
Daneben sind natürlich zahlreiche deutschsprachige Filmemacher vertreten. Darunter auch Dominik Graf, der in der Reihe Neues Deutsches Fernsehen seinen Film »Hanne« präsentiert, für dessen Hauptrolle er Iris Berben gewinnen konnte. Er beschreibt hier das Wiederaufleben einer gealterten Frau, die ihren Sohn und einen früheren Liebhaber wiederfindet. Die Euphorie wird jedoch von der Angst begleitet, das neue Glück sofort wieder zu verlieren. Darüber hinaus zeigt Wolfgang Murnberger in »Nichts zu verlieren«, wie schnell ein Bankraub schiefgehen kann und man sich auf einmal als Geiselnehmer einer Trauergruppe wiederfindet. Andere Regisseure wie Alexander Adolph bleiben explizit in München. In »Der große Rudolph« erweitert er das Leben Rudolph Mooshammers um eine fiktive Episode, in deren Zentrum eine Fußpflegerin aus Augsburg steht. Peter Azen hingegen zeigt in »Black Wave«, was passiert, wenn ein Punk in der bayerischen Hauptstadt einen Plattenladen aufmacht – manchmal kann das nämlich auch in weltweiter Bekanntheit enden.
Unter dem Motto »Faust aufs Auge« widmet sich auch die Open-Air-Reihe der Gewalt, allerdings einer ihrer Formen, die in unserer Gesellschaft anerkannt und zur Wohnzimmerunterhaltung geworden ist. Die Rede ist hier vom Boxkampf, der bereits unzählige Male auch auf der Leinwand verarbeitet wurde. Im Repertoire des Filmfests stehen Klassiker wie »Rocky« (John G. Avildsen, 1976), »Wie ein wilder Stier« (Martin Scorsese, 1980) und »Die Faust im Gesicht« (Ralph Nelson, 1962), neben jüngeren Filmen wie »Girlfight – Auf eigene Faust« (Karyn Kusama, 2000) und »Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki« (Juho Kuosmanen, 2016). Dabei will den Boxfilm als romantisches Genre zeigen. Es dreht sich um den Kampf, den Aufstieg und den Sieg. Letztendlich kann der Ruhm aber auch zum tiefen und harten Fall werden, wenn er auf Kosten des Lebens außerhalb des Rings geht.
Das Kinderfilmfest geht mit seinem Eröffnungsfilm »Ich bin William« in die Niederlande. William meint, für ihn könne es nicht mehr schlimmer kommen: Sein Vater ist tot, die Mutter in der Psychiatrie, nun lebt er bei seinem Onkel, einem nichtsnutzigen Kleinkriminellen. Als der schließlich Schulden bei stadtbekannten Gangstern hat, beschließt sein Neffe, die Sache in die Hand zu nehmen, und sucht den Kontakt zu deren Boss. »Ich bin William« ist dabei wunderbar unaufgeregt erzählt und verfügt trotz der eigentlich ernsten Handlung über einen trockenen Humor, den man im Kinderfilm auch nicht oft antrifft. In eine komplett andere Richtung geht da »Mary und die Blume der Hexen«, einem Anime von Hiromasa Yonebayashi. Hier stolpert ein kleines Mädchen zufällig in eine Zauberschule und muss sich bald gegen die Machenschaften der Schulleitung durchsetzen. Das alles präsentiert Yonebayashi als animetypischen Bildersturm, der Harry Potter ziemlich alt aussehen lässt.||
FILMFEST MÜNCHEN
Das komplette Filmfest München Programm gibt es ab dem
11. Juni 2018 unter www.filmfest-muenchen.de
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