Der Dokumentarfilm »The Cleaners« beleuchtet den von menschlichen Abgründen geprägten Alltag von Content-Moderatoren bei Facebook.
Da sitzt jemand im Bürowürfel und spricht vor sich hin: »Löschen.« Kurze Pause. »Ignorieren.« Wieder Pause. »Löschen. Ignorieren. Ignorieren. Ignorieren. Löschen.« Es ist dunkel bis auf den Computerbildschirm. »Ignorieren. Ignorieren. Löschen.« Das seltsame Mantra gerät ins Stocken. Auf dem Bildschirm ist das berühmte Foto von Nick Út mit der nackt und verbrannt fliehenden neunjährigen Vietnamesin Kim Phúc zu sehen. Eine Ikone. Aber Nacktheit von Minderjährigen verstößt gegen die Regeln. »Löschen.«
Wer in der philippinischen Hauptstadt Manila nichts gelernt hat, wühlt sich durch Müllhalden. Wer besser ausgebildet ist, wühlt sich für Internetriesen wie Google und Facebook durch die digitalen Contenthalden und bestimmt, was bleiben darf. Der Dokumentarfilm »The Cleaners« von Hans Block und Moritz Riesewick erzählt eindrucksvoll vom Alltag dieser Putztrupps, der den Schmutz aus dem Netz fischen soll, damit man ihn hier nicht sehen muss. Die offizielle Jobbezeichnung lautet »Content-Moderator.« Das klingt nach Vermittlung, nach Beteiligung an Diskussionen. Tatsächlich haben diese Moderatoren nur eine Wahl: löschen oder ignorieren. In Zehnstundenschichten arbeiten sie täglich 25 000 Bilder ab. Bilder von Gewalt, Pornografie, Missbrauch, aber auch zeitgeschichtliche Bilder von Gewalt, Kunst, die wie Pornografie aussieht, Satire, die wie Beleidigung aussieht. In den wenigen Sekunden, die für die Entscheidung bleiben, ist das meistens nicht zu klären. Ein striktes aber teils realitätsfernes Regelwerk erschwert die Sache zusätzlich. Nur drei Fehler im Monat dürfe man machen, berichtet ein ehemaliger Angestellter. Einer von Zehntausenden, die für Facebook, Youtube, Twitter und andere Plattformen arbeiten, bei Subunternehmen, damit man sie nicht so leicht mit den Konzernen in Verbindung bringt.
Die Existenz solcher Fließbänder der Zensur ist seit Langem bekannt. Zuletzt wurde auch die Frage, wie etwa Facebook mit den Inhalten auf seiner Plattform umgeht, durch die Anhörung des Gründers Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress im April wieder einmal aufgeworfen. In Deutschland wird über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz diskutiert, das hohe Strafen vorsieht, wenn Strafbares nicht schnell gelöscht wird. »The Cleaners« stellt nun aber exzellent dar, wie sich die Arbeit als Content-Moderator anfühlt und in welcher Kultur sich diese sonst für Internetnutzer unsichtbar arbeitenden Menschen bewegen.Zum einen sind da die Bilder, die auf ihre Tauglichkeit für die breite Öffentlichkeit bewertet werden. Anfangs sind diese nicht zu sehen, dann beginnt es harmlos. Doch auf einmal ist da ein abgetrennter Kopf, nur mit einem winzigen Balken über den Augen zensiert. Ein Schock, eine Grenzverletzung. Und dann erzählt ein junger Mann mit ruhiger Stimme, dass er schon hunderte solcher Bilder gesehen hat, sie so gut kennt, dass er bestimmen kann, dass diese Enthauptung mit einem stumpfen Messer durchgeführt wurde.Wenn danach Leichen zu sehen sind, ist das fast wieder harmlos. Als Zuschauer kann man die Abstumpfung im Kleinen nachfühlen, die die Arbeiter in Manila erfahren müssen.
Die Doku legt nahe, dass diese auch ganz konkret im Alltag wirkt. Der junge Mann, der über die Enthauptung sprach, erzählt später, dass man die guten Seiten seines Präsidenten Rodrigo Duerte sehen solle, der damit prahlte, drei Millionen Drogensüchtige töten zu wollen. Eine junge Frau, gläubige Christin, berichtet, dass sie mit vielen Pornos konfrontiert wurde, begann, von Penissen zu träumen, und Schuldgefühle entwickelte, weil es ihr gefiel. Jetzt sieht sie sich als Märtyrerin, die andere vor der Sünde im Internet bewahrt. ||
THE CLEANERS
Deutschland, USA
Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck | 90 Minuten
Kinostart: 17. Mai
Trailer
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