Toshiki Okada kommentiert in »No Sex« die moderne Welt mit einer komischen Karaoke-Show.
Pop-Art-Designer Verner Panton hätte seine wahre Freude an der Karaokebar, die Dominic Huber auf die Bühne der Kammer 1 gebaut hat. Psychedelisch delirierende Muster liefern sich in dem Spiegel-Glitzer-Ambiente mit braunem Ecksofa einen Kampf um die Vorherrschaft über die Augen der Zuschauer. Herr über das Etablissement ist Herr Matsumoto, den Stefan Merki als weisen Altrocker, der schon fast alles gesehen hat, spielt. Was da in seine Bar platzt, ist ihm so aber noch nicht untergekommen. Wie vier Samurai auf Sinnsuche stolpern die Zierpflanzen Anthurium (Flamingoblume: Christian Löber), Banyan (Ficus: Thomas Hauser), Hedera helix (Efeu: Benjamin Radjaipour) und Monstera (Fensterblatt: Franz Rogowski) in die Karaokebar, um die Erfahrungen »Biertrinken« und »lautes Singen« ihrem Cluster einzuverleiben.
Man könnte meinen, Sheldon Cooper habe sich vervierfacht, so nerdig unbefleckt von den Tatsachen des Lebens und gleichzeitig so überzeugt von der Überlegenheit ihres Oberseminarbewusstseins kommen die vier in Tutia Schaads leicht futuristischen Kostümen daher. Regisseur Toshiki Okada setzt sich in »No Sex« mit dem Phänomen auseinander, dass die Hälfte der japanischen Bevölkerung auch in einer Beziehung keinen Sex hat. Dafür hat er seinen Zierpflanzen ein Bewegungsvokabular auf die Leiber geschrieben, das vor allem von Abwehr zeugt. Mit ADHS-artigen Zappeleien grenzen sie sich von den eigenwillig ins Deutsche übersetzten Texten von Songs wie dem Pointer-Sisters-Hit »I’m so excited«, Madonnas »Like a virgin« oder Nirvanas »Smells like teen spirit« ab. Hölzern interpretieren die vier beim Karaoke das Liedgut, die Stock-im-Arsch-Meisterschaft gewinnt ganz eindeutig Christian Löbers Anthurium, während Thomas Hausers Banyan charmante Gelenkigkeit und Benjamin Radjaipours Hedera helix streckenweise weltfremden Liebreiz entwickeln. Franz Rogowski versteigt sich als Monstera sogar zu dem Versuch, sich einem impulsiven Bewegungsdrang in die Arme zu werfen, wenn er nicht über die Bedeutung von Personalpronomina doziert.
Das alles ist auf absurde Weise komisch und bewegt Frau Nakamura, die Reinigungskraft, zu dem Ausruf: »Was sind denn das für welche?«, nachdem sie die Gruppe einige Zeit umrundet und beäugt hat. Gespielt wird sie von der fabelhaften Annette Paulmann, die gerne an Frau Nakamuras Erfahrungsschatz teilhaben lässt, was das Vögeln und die Ausstattung von Lovehotels betrifft. Okadas Bewegungschoreografie wird bei Paulmann zur fein ziselierten Zeichensprache. Ihre Interpretation von Donna Summers »I feel love« (hier schlicht »Ich will Sex«) erinnert in ihrer entwaffnenden Komik an die Performance von Liselotte Pulver in Billy Wilders »Eins, zwei, drei«. Und ihre Beschwörung dessen, was einem an Tasterlebnissen, Gerüchen und Geräuschen entgeht, wenn man das Vögeln bleiben lässt, klingt wie der wehmütige Abgesang auf eine verlorene Zeit. Die zur Boygroup formierten Zimmerpflanzen beharren ungerührt darauf: »Es gibt welche, die tun’s, wir tun’s nicht.« Ist das nun, wie Herr Matsumoto analysiert, ein politischer Akt der Verweigerung, da ja Macht und Kapitalismus uns das Bedürfnis nach Sex aufzwingen? Toshiki Okadas unberührte Jungs erscheinen in ihrer extremen Selbstbezogenheit doch eher als Erzeugnisse einer Vereinzelung, die das »Ich zuerst« zum obersten Gebot macht. Und ist somit durchaus ein Kommentar zum Zustand der modernen Welt. ||
NO SEX
Kammer 1| 15., 28. Mai| 20 Uhr | 16. Juni| 20.30 Uhr
Tickets 089 23396600
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