Um die Jahrhundertwende war München das Zentrum einer neuen Frauenbewegung. Männer und Frauen kämpften für ein neues Frauenbild. Die Nazis machten sämtliche Fortschritte zunichte. Eine Ausstellung in der Monacensia.

Carry Brachvogel | Foto: Theodor Hilsdorf, Quelle: Münchner Stadtmuseum

Zwischen großen Porträtfotos steht im Eingangsbereich der Ausstellung ein programmatisches Zitat von Carry Brachvogel. »Modern sein heißt für die Frau ein eigenes Gesetz in der Brust tragen«, schrieb diese 1911 in »Hebbel und die moderne Frau«, einer Abrechnung mit den Klassikern und dem Reigen der »restlos von Liebesflammen« verzehrten Mädchen, den »Gretchen, Klärchen, Luisen, Kätchen«, den schönen weiblichen Seelen, die nichts weiter wollen im Leben als »immerfort Liebe«. Damit mochte sich die Tochter einer bayerisch-jüdischen Familie nicht begnügen. Die für ihren messerscharfen Witz bekannte Schriftstellerin war eine der Begründerinnen der Münchner Frauenbewegung, die Gertrud Bäumer später als den deutschlandweit »farbigsten, schwungvollsten und reichsten« Zusammenschluss unter dem Banner der Emanzipation bezeichnete. In ihm fanden sich liberalkonservative, nüchtern pragmatische und mutig wilde Denkerinnen. An einige von ihnen erinnert nun die Ausstellung »Evas Töchter« mit Fotografien, Briefen, Manuskripten und sechs Medienstationen, die wichtige und spannende Hintergrundinformationen zu den Exponaten bieten.

Um die Jahrhundertwende avancierte München zum Mekka für junge Künstler und Bohemiens und zugleich zum Zentrum einer neuen Frauenbewegung. Anita Augspurg und ihre Freundin Sophia Goudstikker zogen in die, wie sie erklärten, »vorurteilsfreiste Stadt« Deutschlands und eröffneten in der Von-der-Tann-Straße das Fotoatelier Elvira, das bald berühmt und ebenso zum Treffpunkt der Szene wurde wie die angrenzende Wohnung von Emma Merk, deren prachtvoll in Samt gebundenes Buch »Evas Töchter« in der Monacensia in einer Vitrine liegt. Auch Männer waren in der Frauenbewegung willkommen. »Modern« sein, das hieß für sie, für ein neues Frauenbild einzutreten. Dichter wie Rainer Maria Rilke, Professoren wie Max Haushofer, Rechtsanwälte und Architekten schlossen sich dem »Verein für Fraueninteressen« an. Die geschlechtsübergreifende Ausrichtung, betont Kuratorin Ingvild Richardsen, war »ein absolutes Spezifikum« der bürgerlichen Münchner Frauenbewegung, zu deren führenden Köpfen Schriftstellerinnen wie Helene Böhlau, Emmy von Egidy und Marie Haushofer zählten. Wie wenig präsent sie im kulturellen Gedächtnis der Stadt bis heute sind, macht die Literaturwissenschaftlerin Richardsen »fassungslos«. Die bisherige Leiterin der Monacensia, Elisabeth Tworek, hat sich seit Längerem bemüht, Nachlässe zu erwerben. Doch nach wie vor, meint Richardsen, »ruhen in den Archiven Berge von unerforschtem Material.« Während Carry Brachvogel in jüngerer Zeit eine kleine Renaissance erlebt, sind die meisten Autorinnen »völlig vergessen«.

Dabei wurden ihre Bücher einst begeistert rezensiert und erzielten hohe Auflagen, wie Brachvogels Debütroman »Alltagsmenschen«. Dessen Protagonistin Elisabeth, deren »Lilienaufdemfelddasein« zwischen »Toilette, Spazierengehen, ein bisschen Lesen, ein bisschen Porzellanmalen«, Besuchen und Bällen verrinnt und die aus ihrer Ehe in eine Affäre flieht, steht für all das, was die Frauen hinter sich lassen wollten. Sie rebellierten gegen die Begrenzung weiblicher Lebensentwürfe zwischen Versorgungsehe und Liebestrunkenheit »bis zur Selbstvernichtung«. Der verfällt auch Isolde in »Halbtier«, dem radikalsten Frauenroman dieser Zeit, dessen Erstausgabe die Ausstellung präsentiert. Darin erzählt Helene Böhlau, deren Figuren die Germanistin Irmtraud Hnilica »die unbekannten Schwestern Noras« nannte, mit beißendem Spott, flammendem Furor und Pathos die mörderische Emanzipationsgeschichte von Isolde, die nicht wie ihre Mutter in dumpfer Devotheit verkümmern, nicht so leben will wie die anderen, »so breit, behaglich, angebetet und verachtet«, sich zur Richterin über den einst geliebten Mann erhebt und ihn tötet.

Doch revolutionäre Radikalität war kein Kennzeichen der Münchner Frauenbewegung. Das wäre, konstatierte Martha Haushofer, Maries Schwägerin und ebenfalls Mitglied des Vereins für Fraueninteressen, »in unseren bayerischen Verhältnissen der sichere Weg zum Misserfolg gewesen.« Der Kampf fokussierte sich auf Ziele wie die Unterhaltspflicht von Vätern, Bildungschancen und gerechte Bezahlung. So wurden alle Frauen aufgefordert, nicht länger für »Schleuderpreise« oder umsonst zu arbeiten.Als Ausweg aus Abhängigkeit und Liebessucht galt Arbeit, deren Hohelied Marie Haushofer in »Zwölf Culturbilder aus dem Leben der Frau«, einem in Szenenfotos dokumentierten Festspiel zum Ersten Bayerischen Frauentag 1899, in zeitgeistigen Tönen sang (»Ich bin die Arbeit und ich führ’ sie an / Die Frau von heut sowie den heut’gen Mann«). Wie sehr die Bewegung in der bürgerlichen Gesellschaft verwurzelt war, zeigte sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges, als Brachvogel wie so viele in das patriotische Hurra und die Opferrhetorik einstimmte. Durch die Kriegsgräuel erwachten allerdings einige aus dem Rausch wie Emma Haushofer-Merk, die zum Widerstand gegen den aus »einer Männerkultur« erwachsenen »Völkerwahnsinn« aufrief.

Der Siegeszug Hitlers und der nationalsozialistischen Mütterlichkeitsideologie, die Feministinnen als »unnatürliche Zwitterwesen« und »Entartete« betrachtete, machten schließlich alle Hoffnungen auf eine neue Geschlechterordnung zunichte. »Endstation« heißt der letzte Raum der Ausstellung. Zuvor gefeierte Autorinnen verloren ihre Publikationsmöglichkeiten. Marie Haushofer ertränkte sich in der Isar. Die Jüdin und bayerische Patriotin Carry Brachvogel wurde nach Theresienstadt deportiert. »Sei mutig, lies keine Zeitung«, schrieb sie auf einer Postkarte an ihre Tochter, »Deine alte zuversichtliche Mama«. Drei Monate später war sie tot.Für alle, die mehr über sie und die Münchner Frauenrechtlerinnen wissen wollen, gibt es ein reiches Begleitprogramm zu »Evas Töchter« mit Dokumentarfilmen, Lesungen und Vorträgen. ||

EVAS TÖCHTER. MÜNCHNER SCHRIFTSTELLERINNEN UND DIE MODERNE FRAUENBEWEGUNG. 1894–1933
Bis 16. November | Monacensia | Maria-Theresia-Str. 23 | Mo bis Mi, Fr 9.30–17.30 Uhr | Do 12–19 Uhr | Sa, So 11–18 Uhr | Eintritt frei

 


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