»Portrait Wayne McGregor«: Zur Eröffnung der Ballett-Festwoche feiert das Bayerische Staatsballett seine zweite Spielzeit-Premiere. Der Brite befasst sich auch mit künstlicher Intelligenz.

Wayne McGregors »Borderlands«, hier getanzt vom San Franciso Ballet (Maria Kochetkova und Lonnie Weeks)| © Erik-Tomasson

Man war vorgewarnt: Ein Gespräch mit dem britischen Choreografen Wayne McGregor über seine Arbeit würde in weitverzweigte tanzferne Wissenschaftsfelder wie Genetik und Robotik führen – und damit unsere Gehirn-Synapsen ganz schön ins Flattern bringen. Dabei war der Auslöser für seine internationale Karriere eher unauffällig alltäglich: Der Landwirtssohn aus schottischer Familie sah als Knirps die 70er-Jahre-Kultfilme »Saturday Night Fever« und »Grease« – und wusste, das ist es: Tanzen! Aber Disco und lateinamerikanische Tänze reichen dem offensichtlich naturgegeben planvollen McGregor bald nicht mehr.

Er studiert am Bretton Hall College Choreografie und Semiotik, die Lehre vom Riesenreich der Zeichen wie Bilderschriften, Formeln und Gestik. Ob man davon vielleicht im »Portrait Wayne McGregor« etwas entdecken kann?Unter diesem Hommage-Titel sind zum Auftakt der Münchner Staatsballett-Festwoche am 14. April im Nationaltheater drei Stücke von McGregor zu sehen: »Sunyata« – der Titel benennt den buddhistischen Begriff der Leere und Vergänglichkeit – ist eine Kreation zur Komposition »Circle Map« der zeitgenössischen finnischen Komponistin Kaija Saariaho. Das 2014 vom Ballett Zürich uraufgeführte »Kairos« zu Max Richters Bearbeitung von Vivaldis »Vier Jahreszeiten« scheint die griechische Bezeichnung für den schicksalhaft sich eröffnenden »günstigen Augenblick« in Tanz fassen zu wollen. Und »Borderlands«, 2013 fürs San Francisco Ballet entworfen, ist inspiriert von den »Grenzbereichen«, den Übergängen in den Farbflächenbildern des Bauhaus-Künstlers Josef Albers. Soweit sind die Stückhinweise recht abstrakt – machen aber neugierig.

Bei McGregors Arbeitsmethoden allerdings sind wir dann schlicht ratlos. Physisches Denken? Messungen von Herzfrequenz und Adrenalinstatus der Tänzer? Eigenständige Drohnen-Bewegungen? Dies alles Mittel für den choreografischen Prozess? McGregor lacht beschwichtigend: »Choreografieren und Erforschung der künstlichen Intelligenz sind zwei parallele Interessengebiete. Wobei beide sich tatsächlich gegenseitig vorwärtsbringen können.« Okay. Aber wie? McGregor, neben seinem wissenschaftlichen Austausch mit Schriftstellern, Komponisten, Software-Ingenieuren und Neurowissenschaftlern ganz offiziell auch Forschungsmitglied an der kognitionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Cambridge, erhebt seinen hochgewachsenen Corpus und demonstriert einen vorwärtsgehenden Roboter. »Wenn jetzt ein Hindernis im Weg ist«, erklärt McGregor, »kann der Roboter erst mal nicht ausweichen – aber der Mensch kann es.« Einsichten in die komplexe Hirntätigkeit und genau dadurch die Weiterentwicklung der Robotik sind für ihn intellektuelles Spielfeld. Zugleich für den Choreografen McGregor auch ein konkreter Weg, »kognitive und körperliche Gewohnheiten zu überwinden«, also von der sich so leicht einschleichenden Bewegungsroutine wegzukommen. Daran arbeitete schon der große Postmoderne Merce Cunningham: zunächst mit Auswürfeln von Bewegungsabfolgen, dann per aleatorischem Computer-Programm. McGregor benutzt auch Prismenbrillen, die das Raumgefühl verändern und so den Träger zu ganz neuen Bewegungen provozieren sollen.

Man holt tief Luft: Der zeitgenössische Tanz hat seit den 80er Jahren – damals auch ohne Fremdmittel, ohne Softwarelösungen – eine überwältigend vielfältige Formensprache entwickelt. Zudem hat er sich, über die freie Szene hinaus, an mittleren und kleinen Bühnen etabliert, besonders im theaterreichen Deutschland. Wird der Contemporary Dance also über kurz oder lang die Klassik auch aus den großen Häusern verdrängen? »Never«, so spontan McGregor, der neben der Leitung seiner Company auch seit 2006 Hauschoreograf des Londoner Royal Ballet ist. »Ich finde es großartig, dass in einer Saison neben einem McGregorStück ein Balanchine getanzt wird. Aber ein Ballettchef muss auch etwas riskieren. Das Publikum geht dann schon mit.« Beim Royal Ballet ist das offensichtlich der Fall. Im Gegenzug hat sich der besessen forschende McGregor auf die ihm vorher fremde Klassik eingelassen. »Diese außergewöhnlichen klassischen Royal-Ballet-Tänzer sind wunderbar offen für Neues. Sie wollen entdecken. Und ich versuche, ihre feingeschliffene, aber auch einschränkende Technik zu öffnen für Off-Balance- und andere freie Bewegungen.« Mal sehen, wie sich das in »Sunyata« gestalten wird. ||

PORTRAIT WAYNE MCGREGOR
Nationaltheater| 14./15./28. April, 11./18.
Mai, 12./23. Juni, 10. Juli| 19.30 Uhr || In der Ballett-Festwoche zu sehen sind u. a. noch die drei Cranko-Klassiker »Der Widerspenstigen Zähmung« (mit den Gastsolisten Natalia Osipova und Sergei Polunin, 16. April), »Romeo und Julia« (mit Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook, 17. April) und »Onegin« (mit Vladimir Shklyarov und Ivy Amista, 18. April) || alle Vorstellungen und Tickets

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