Bei »1968« in den Kammerspielen bleibt die Revolte aus.

Thomas Hauser reckt die Faust in Erinnerung an den Black-Power-Protest bei der Olympiade in Mexiko 1968| © Julian Baumann

Vor 50 Jahren bestimmten Thesenketten ausufernde Diskussionen in den Kammerspielen, als Wolfgang Neuss im Sommer 1968 nach Peter Steins »Viet Nam Diskurs« zu Spenden für den Vietcong aufrief. Heute sind es aufblasbare Kissenketten, und die prägen auch nur optisch den bunten Abend zum Thema »1968«. Sieben Performanceteams docken mehr oder weniger direkt an den Geist von 1968 an. 2018 haben wir es allerdings weniger mit einer Besetzung oder gar Revolte als mit einer Art Grand Prix zu tun. Team Böhm punktet zu Beginn mit einer Gammler-Petitesse, die von ihren Protagonisten Thomas Hauser und Lukas Vögler lebt. Mit schlimmen Hosen und strähnigen Haaren wanzen sie sich als Wolfgang Neuss-Wiedergänger zutraulich wie Haustiere ans Publikum ran, und reden so unglaublichen Quatsch, dass Vögler es nur knapp schafft, in der Rolle zu bleiben, so peinlich ist es. Sehr lustig.

Team Gintersdorfer/Klaßen ist da weitaus politischer und thematisiert in gleich zwei Auftritten die zweifelhafte Ausrichtung afrikanischer Despoten auf Europa, die zur Zerstörung afrikanischer Infrastruktur führt. Sie bemühen ausgiebig Frantz Fanons Manifest des Antikolonialismus »Die Verdammten dieser Erde« von 1961 und lassen in ihrer trotz eines choreografischen Drives immer etwas studienrätisch daherkommenden Performance das Publikum den wenig eingängigen Satz »Ich bin ein genozidales Monster« skandieren. Sophia Mahler wirft sich in ihrer Vaterbefragung auf die Psychoanalyse. Ihr musiktheatralischer Kissenkreis um den Studententherapeuten versäumt es aber leider, an der richtigen Stelle zum Ende zu kommen. Wojtek Klemm hat wirklich was zu sagen. Er montiert die Selbstverbrennung von Richard S. nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 mit derjenigen von Piotr S.aus Protest gegen die rechte polnische Regierung 2017. Aggressiv heißt es: »Was bist du Polen schuldig?« Ein beängstigender Kinderchor singt »Jesu meine Freude«, und eine polnische Madonna kommentiert süffisant den Widerstand, dass es einen gruselt. In Alberto Villarreals Beitrag wird aus den Luftkissen ein Panzer. Zehn Tage vor Eröffnung der Olympiade in Mexiko 1968 wurden Hunderte Studenten bei einer Demonstration massakriert. Villarreal belebt die Erinnerung an Solidarität, Widerstand und seine Niederwerfung mit einer Zitatenreihe ikonografischer Bilder wieder.

Nach Elfriede Jelineks tonloser Lesung auf der Leinwand schwebt das Performancekollektiv Henrike Iglesias wie zum Finale vom Himmel ein und greift tief in die Lostrommel der Geschlechtermissverständnisse. In ihren Kostümen zwischen Meerjungfrau, Dinoprinzessin und Divine liefern sie eine gut gelaunte Karnevalssitzung für einen entspannten Feminismus ab. Doch leider folgt noch Teamcollectif Catastrophe, das mit Nebel, Flitter und Pseudopoesie seinem Namen alle Ehre macht. Vielleicht ist dieser bunte Abend in seiner Unvollkommenheit am ehesten ein Abbild der 68er. ||

1968– EINEBESETZUNG DER KAMMERSPIELE
Kammer 1| 12.–14. März| 20 Uhr
Tickets: 08923396600

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