Zum siebten Mal versucht die Designwoche MCBW den Anspruch Münchens als Design-Hauptstadt der Republik zu bestätigen. Nach Jahren sich ständig steigernder Superlative klingt beim Veranstalter und einigen Teilnehmern das Bedürfnis nach einer Verschnaufpause durch. Wie geht man mit dem alltäglichen Design-Overkill als Macher um?

Die unvollendeten Räume von Schloss Herrenchiemsee eignen sich nicht nur als Sparringpartner für zeitgenössische Kunst, sondern können unendlich weitergedacht werden © Blackspace

65 000 Besucher konnte die Munich Creative Business Week 2017 verzeichnen. Und auch dieses Jahr werden in den neun Tagen rund 200 Veranstaltungen mit 250 Partnern an 100 verschiedenen Orten stattfinden. Wie gehabt macht Tocame, der führende Branchentreff der Kommunikationsdesigner, den Auftakt mit allen Protagonisten, die Rang und Namen haben. Nur einer wird fehlen: Michael Keller. Der Vordenker der dramatischen Inszenierung von Weltmarken und Markenwelten für Munich Re, Audi, VW oder Siemens wird an diesem Samstag in eigener Mission und nicht in der Landeshauptstadt unterwegs sein. »Ich hätte jeden nur denkbaren Raum in München für unser Projekt haben können. Aber mir war es wichtig, dass die Leute selbst aktiv werden, um dort hinzukommen.« Wo sich andere bemühen, Schwellen zur so genannten Hochkultur abzubauen, spricht Keller von den »Schätzen des Suchens«, von Aktivierungsschwellen, die die Erlebnistiefe verstärken, wie beim Schlangestehen vor der angesagten Disco oder einer gehypten Ausstellung. Sein Workshop »Neue Räume für die Kunst« findet in den bis heute unvollendeten Räumen von Herrenchiemsee statt.

Einzigartig oder austauschbar?
Im Gegensatz zum prunkvollen Spiegelsaal zeugen diese nicht von der Pracht, sondern mit ihren unverputzten Backsteinwänden von den letztendlich leeren Kassen des Kini. Als Mitglieder der International Patrons hatten Keller und die Kuratorin Corinna Thierolf vor fünf Jahren anlässlich des 80. Geburtstags von Herzog Franz von Bayern überlegt, wie man unterschiedliche Bedürfnisse zum Wohle der Kunst zusammenbringen könnte: »Uns war es eine Herzensangelegenheit, Kunst einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Die Pinakothek der Moderne war damals wegen eines Bauschadens geschlossen und konnte die 6000 Gemälde in ihren Kellern nirgends präsentieren. So entstand die Idee, allen Bedenken zum Trotz, für drei Monate eine Ausstellung lebender Künstler auf Herrenchiemsee auszurichten. In Anspielung auf den Herzog, der ja der direkte Nachfahr des letzten Bayerischen Königs Ludwig III. ist, nannten wir das ganze ›Königsklasse‹.« Die vergleichsweise spontane Aktion hatte durchaus einen kulturpolitischen Hintergrund, so Keller: »Richtig gute Kunst kann sich heute fast kein öffentliches Museum mehr leisten. Andererseits gleichen sich die hochkarätigen internationalen Sammlungen immer mehr an. Egal, in welchen Kulturtempel auf der Welt wir gehen, wir treffen überall die gleichen Klassiker vor weißen Wänden in perfekten Museen internationaler Architekten an. Das ist nicht authentisch. Glauben Sie, dass Andy Warhol in seiner Factory klinisch weiß gestrichene Wände hatte? Nein, die waren aus Backstein, wie die unvollendeten Räume in Herrenchiemsee.« Das Konzept, vorwiegend lebende Künstler auszustellen, die eigens für den speziellen Ort neue Werke schaffen, zeigte Erfolg. 140 000 Besucher zählte die Königsklasse, die seither jährlich in veränderter Form wiederholt wird.

Michael Keller ist einer der erfolgreichsten deutschen Gestalter. Vor sieben Jahren gründete er sein neues Büro Blackspace mit 60 Mitarbeitern im Kunstareal München. Bei der MCBW leitet er im Rahmen der »Dialoge« den Workshop »Neue Räume für die Kunst« © Blackspace

Brieftauben statt Computer
Bis heute versucht Keller sich dem Mainstream zu entziehen, der Aufgeregtheit und Bewegung, die er selbst fanatisch mit seinen artifiziellen Raumwelten erzeugt: Er hat bis heute keinen eigenen Computer, kommuniziert mit Brieftauben, wie er scherzhaft betont und war durch keine noch so geistreiche Typographie so gerührt wie durch einen Brief seines Künstlerfreunds Wolfgang Laib zu Weihnachten, in dem sich nichts als ein leeres Blatt befand. Trifft Keller mit dem neuen Format der Königsklasse den Nerv der gesamten Gesellschaft, die Sehnsucht nach der designfreien Zone, ohne Bildschirme und Werbebotschaften, ohne mörderisch kurze Innovationszyklen? Suchen wir heute statt der dauerdiskutierten Mobilität nicht viel mehr nach Entschleunigung, ja Zeitlosigkeit, nach Splendid Isolation? »Erst wenn man sieht, wie Wolfgang Laib drei Monate lang in einem Blumenfeld sitzt, versteht man, um was es ihm wirklich geht: Seine Kunst ist kein Produkt aus Blütenstaub, sie drückt eine Lebenseinstellung aus, Teil einer Wiese zu sein. Wie bei Otl Aicher, dem Gestalter der Olympischen Spiele 1972: Er hat immer gesagt, Gestaltung ist Haltung. Das zählt heute mehr denn je.«

Neue Räume schaffen
Immer wieder bringt Keller sein Lieblingsthema der zwei Gehirnhälften ins Spiel: Die linke ist für Logik, Sprachen und Mathematik, die rechte benutzen wir für Intuition. Das entspricht der Dualität der MCBW. Erstmals haben die Organisatoren das fast unüberschaubare Programm entsprechend der Zielgruppen in zwei Blöcke unterteilt, außerdem wollte man endlich vermitteln, welche Inhalte hinter der kryptischen Abkürzung der Munich Creative Business Week stehen: Der Bereich »Create Business!« ist für die Professionals gedacht, die »Designschau! Transformationen« für das designaffine Publikum. Auf ein übergeordnetes Motto haben die Veranstalter dieses Jahr verzichtet. Dreh- und Angelpunkt ist erneut das MCBW Forum am Deutschen Museum. In der ganzen Stadt öffnen Designakteure ihre Türen. Eine Führung durchs Werksviertel erläutert das Umfeld des künftigen neuen Konzertsaals mit anschließendem Besuch dort ansässiger Agenturen und Designstores. Die Partnerschaft mit einem Gastland ist heuer nicht zustande gekommen, im kleineren Rahmen kann man Design aus Ungarn in der Galerie Loft im Tal kennenlernen. Die Partnerregion Miesbach lockterneut mit Veranstaltungen zu regionalem handwerksbezogenem Design an den Tegernsee. Ein roter Faden ist die gesellschaftspolitische Relevanz von Design für die Metropolregionen der Zukunft. Die Smart City wird mit unterschiedlichen Schwerpunkten in transdisziplinären Symposien diskutiert: »Kreapolis« nennt Boris Kochan, Präsident des Deutschen Design Tags, den von ihm moderierten Designtalk. Unter dem Titel »abgefahren« diskutiert Julia Hinderink von Schnitzer& Gegenwart und Zukunft der Mobilität. Bei der Konferenz Architecture Matters von plan A treffen Architekten wie Reinier de Graaf von OMA auf den Philosophen Julian Nida-Rümelin und Investoren des Luxus-Immobilienmarkts.

Wer sich nicht ins Design-Getümmel stürzen will, kann sich dem Thema auch auf dem heimischen Sofa widmen, mit dem Buch »Neue Allianzen«, das Elisabeth Hartung auf der MCBW vorstellen wird. Sie ist überzeugt, dass die Herausforderungen der Zukunft nur durch unkonventionelle, disziplinüberschreitende Zusammenarbeit zu meistern sein werden. In Interviews mit Vertretern aus Kunst, Architektur, Soziologie und Wissenschaft versucht sie einen Ausblick auf die Gestaltung der nächsten 20 Jahre. Wie sagt doch Michael Keller: »Die Politik schaut den Transformationen unserer Welt momentan nur tatenlos zu. Wir als Gestalter müssen uns endlich selbst neue Räume schaffen. Es ist eine gute Zeit dafür.« ||

MCBW MUNICH CREATIVE BUSINESS WEEK
verschiedene Orte | 3. – 11. März

BLACKSPACE: NEUE RÄUME FÜR DIE KUNST
Schloss Herrenchiemsee| 3. März, 14–17 Uhr | Workshop

 


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