Mit Drive und Virtuosität, exzeptionellen Settings und energetischen Sounds will Richard Siegals freies Ensemble Ballet of Difference dem klassischen Tanz neue Themen und eine zeitgenössische, kritische Ästhetik erobern.
Drei Paar Stiefel stehen aufgereiht im Studio des Muffatwerks, ein Paar fehlt. Denn das neue Stück, das Richard Siegal gerade erarbeitet, ist ein Quartett. Arbeitstitel: »Ballet 2.018«. »On body« lautet die Überschrift des Dreierabends, und Siegals freie Kompanie Ballet of Difference zeigt dabei auch wieder
»Unitxt«, das der Münchner Tanzpreisträger 2013 für das Bayerische Staatsballett kreierte und für das der renommierte Industriedesigner Konstantin Grcic die Kostüme schuf. Mit im Programm auch das letztes Jahr beim Festival »Dance« uraufgeführte Signaturstück »BoD« mit den aufblasbaren Kostümen der New Yorker Chromat-Label-Chefin Becca McCharen.
Nach welchen Gesichtspunkten ist der Abend programmiert? Wieso zeigen Sie nicht wieder »Pop HD«?
Ja, »Pop HD«, für das Cedar Lake Ballet kreiert, hat großen Anklang gefunden. Für »BoD« habe ich mich entschieden, weil ich es eigens für das und mit dem Ensemble geschaffen habe und das Stück großes Potential hat, noch zu wachsen. Auch war die Arbeit mit der Stylistin Edda Gudmundsdottir und der
Kostümdesignerin Becca McCharen für mich sehr spannend. »Unitxt« wiederum ist kompatibler mit anderen Stücken, weil es von seiner Charakteristik her weniger »definiert« ist.
Wie bauen Sie ein Repertoire für Ihre 2017 gegründet Kompanie auf? Mit neuen Stücken? Wie viel Zeit haben sie gemeinsam mit Tänzern zur Verfügung?
Repertoirebildung ist essentiell für eine Kompanie – und für mich überhaupt erst die Möglichkeit, seit ich ein eigenes Ensemble zur Verfügung habe. »Tourfähige« Produktionen – für Bühnenformate von Theatern und Opernhäusern – sind bei meiner Arbeit mit anderen Kompanien entstanden. »Unitxt« beispielsweise habe ich ans Ballett am Theater Dortmund verkauft. All die Stücke, die ich für München, Göteborg, Marseille oder New York geschaffen habe, repräsentieren mich als Künstler: Nun kann ich meine Arbeiten auf die eigene Kompanie übertragen und Neues für sie entwickeln. Die Kompanie ist ein Vorschlag dafür, was heute »Ballett« bedeuten und in Zukunft sein könnte, und damit kann ich die von mir eingeschlagene Richtung weiter verfolgen.
Was für eine Facette wird das neue Stück diesem Repertoire hinzufügen?
In meiner Arbeit greife ich gerne einen Ansatz, eine Idee aus einem früheren Werk heraus und entwickle das weiter. In dem neuen Stück nun habe ich mich intensiver mit Polyrhythmik beschäftigt: als eine Art sehr artikulierter choreografischer Taktik, wie sie schon am Ende von »BoD« erscheint. Wie lässt sich Polyrhythmik bewusst einsetzen und kontrollieren? Vom Einfachen zum Komplexen und Komplizierten – das ist für uns alle durchaus erschöpfend!
Sie arbeiten mit der Kompanie nun sowohl in München als auch in Köln. Wie sind die Arbeitsbedingungen?
Ich bringe hier in München seit zehn Jahren Arbeiten heraus. Ich habe hier ein Publikum, Freunde, Institutionen, die mich unterstützen, und die Landeshauptstadt, die mich fördert – dieses Jahr noch mit der Optionsförderung. In Köln fangen wir diesbezüglich fast bei Null an: Ich kenne die Stadt nicht, die
Stadt wiederum kennt mich nicht, es gibt dort kein Tanzensemble, allerdings eine starke Tanztradition. Es gibt aber auch Unterschiede in anderer Hinsicht: In Köln erhalte ich Förderung von der Landesregierung, und ich kann am Schauspiel Köln in den Räumen und mit der Technik, den Werkstätten und der Expertise eines Stadttheaters produzieren. Die Muffathalle, bei der ich Choreographer in residence bin, ist demgegenüber eher ein site specific place. In Köln ist das Ballet of Difference enthusiastisch empfangen worden. Die Liebe zum Tanz ist dort spürbar. Wir stellen nun eine Verbindung dadurch her, dass wir wechselweise sowohl hier als auch dort proben und produzieren. Fünfeinhalb Wochen sind die gemeinsame Zeit, die die zwölf Tänzer und ich diesmal zur Verfügung haben. Im Februar arbeiten wir in Köln weiter und »On Body« hat dort am 22. Februar Premiere.
Was fehlt noch – für die Zukunft?
Wovon ich träume? Das hängt von den Erwartungen ab. Ehrlich gesagt: Meine Karriere hat meine Erwartungen weit und auf vielfältige Weise übertroffen. Ich kam als Tänzer nach Europa, arbeitete 7 Jahre mit William Forsythe, konnte mit meiner Arbeitspattform The Bakery, zusammen mit Musikern, Computerkünstlern, Architekten, Technologieexperten und Designern, eigene Stücke realisieren, habe für wunderbare Ensembles choreografiert – und jetzt mache ich die Erfahrung eines eigenen Ensembles aus herausragenden Tänzern, einer eigenen touring company, der Arbeit in einer Gruppe mit Zukunft. Das Best-Case-Szenario also ist: Wir machen weiter. ||
RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE: ON BODY
Muffathalle| Zellstr. 4 | 1.–3. März| 20 Uhr
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