Jan Friedrich bebildert »Frühlings Erwachen« in der Schauburg mit exaltierten Kunstfiguren.

Melchior (Janosch Fries, 3. v. l.) allein unter den Reptilien der Besserungsanstalt | © Judith Buss

»Eine Kindertragödie« nannte Frank Wedekind sein 1891 veröffentlichtes Drama über eine Gruppe Jugendlicher, die an den Moralvorstellungen von Eltern und Lehrern zugrunde geht. Obgleich satirisch angehaucht, ist »Frühlings Erwachen« im Kern tatsächlich eine Tragödie. Moritz (Pan Aurel Bucher) nimmt sich wegen schlechter Noten das Leben, weil er seine Eltern nicht enttäuschen will. Wendla (Helene Schmitt) stirbt an einer verpfuschten Abtreibung, da ihre Mutter sie partout nicht aufklären wollte. Martha (Anne Bontemps) wird von ihren Eltern misshandelt. Melchior (Janosch Fries) kommt wegen Unmoral in die Besserungsanstalt – er hatte Moritz eine Aufklärungsfibel gebastelt und Wendla geschwängert – und seine vordergründig progressive Mutter (Simone Oswald) unternimmt nichts dagegen. Wedekind war seiner Zeit mit dem gesellschaftskritischen Stück, das 1906 uraufgeführt wurde, weit voraus.

Regisseur Jan Friedrich, der Puppenspielkunst studiert hat, hat vielleicht deshalb die auf das Kernpersonal beschränkten Figuren zu Puppen verfremdet. Die Schauspieler tragen glänzende, pausbäckige Kindermasken zu Babydoll-Kleidchen und Matrosenkrägen. Sie staksen mit steifen Armen und Beinen herum, als hätten sie keine Gelenke. Die Beine gestreckt, die Zehen angezogen, die Arme am Körper, führen sie monotone Bewegungen aus wie mechanische Figuren in einem Diorama. Die starren Verrichtungen ergeben immer wieder auch eine lautmalerische Choreografie. Das Nudelholz rollt, das Bügeleisen zischt, die Geräusche akzentuieren rhythmisch den Text. Der kommt nicht von den handelnden Schauspielern, sondern von den Kollegen. Mit künstlich hohen Stimmen synchronisieren die Männer die Frauen und umgekehrt. Kostüm- und Bühnenbildner Alexandre Corazzola hat ein 19.-Jahrhundert-Puppenhaus auf die Bühne gestellt. Links das Klassenzimmer, in der Mitte das gutbürgerliche Entree und rechts die Toilette, auf der auch mal onaniert wird.

Auf dieses Puppenhaus werden auch Bilder einer Gegenwelt projiziert. Da tragen Wendla, Melchior, Moritz und die anderen keine Masken und sprechen mit ihrer eigenen Stimme. Da leben die Jugendlichen ihre Sehnsüchte aus, da reden sie über ihre Träume, Wünsche, Hoffnungen und Enttäuschungen. Da werden aus den Kunstfiguren Menschen, die berühren. Da bettelt Wendla um Zuwendung, und Melchior schwingt sadistisch die Peitsche, bevor sie später wieder maskiert Barbiepuppensex haben. Die Exaltiertheit der Kunstfiguren funktioniert über weite Strecken gut. Wenn Mutter Bergmann (David Benito Garcia) zuckend und zappelnd vom Stuhl fällt, wenn sie Wendla das Märchen vom Klapperstorch aufbindet und die nicht aufhört nachzubohren. Da tritt die Sprachlosigkeit der Eltern hysterisch zutage. Ausgerechnet im Auftritt des Rektors als lächerlicher Giftzwerg, der mit winzigen Füßchen aufstampft, als er Melchior relegiert, verharmlost Friedrichs Inszenierung allerdings das repressive System aus Gängelung, Bevormundung und Verboten, dem die Jugendlichen ausgesetzt sind. ||

FRÜHLINGS ERWACHEN
Schauburg| Elisabethplatz | 1. März| 11 und
19 Uhr | 2. März | 10 Uhr | 3. März | 20 Uhr
Tickets: 089 23337155

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