Einen Jahrgang mit zahlreichen bayerischen und Münchner Vertretern verspricht die Berlinale in diesem Jahr. Die politischen Diskussionen um das Festival und die Nachfolge von Dieter Kosslick reißen derweil nicht ab.
Berlin im Februar, das ist eigentlich Berlinale-Zeit – wie jedes Jahr. Doch so einiges ist in diesem Festivaljahrgang 2018 anders als sonst. Denn eine seltsame »Bärenland ist abgebrannt«-Stimmung macht sich bereits seit dem »heißen Berlinale-Herbst 2017«, in dem medial vogelwild um sich geschossen wurde, unter Filmkritikern, Festivalmachern, Kuratoren wie Filmbusinessleuten breit. Ausgehend von einer schriftlichen Erklärung von 79 renommierten deutschen Filmemachern zur dringlichen Neuausrichtung der Berlinale, die die Verfasser bereits im Mai der zuständigen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) übergeben hatten, entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit eine heiße Debatte über die Bedeutung des weltweit größten Publikumsfestivals – und seine Macher.
Im Zentrum der stark aufgeladenen Diskussion, an der sich nahezu alle Feuilletons und Filmblogs der Republik beteiligten, stand von Beginn an Dieter Kosslick, der als künstlerisch wie organisatorisch verantwortlicher Direktor seit Mai 2001 im Amt ist und dessen Vertrag 2019 nun endgültig auslaufen wird. Der – je nach persönlicher Bewertung entweder als »Problem-Bär« oder »Gute-Laune-Bär« – wahrgenommene Festivalchef ist zudem nicht unbedingt bekannt dafür, mit offenen Armen auf seine Kritiker zuzugehen, was die eh schon reichlich verzwickte Situation zuletzt noch einmal deutlich komplexer gestaltete. Mit wenig einsichtigen Aussagen wie »Niemand versteht diese Aufregung« und es handle sich bei diesem Frontalangriff auf seine Person lediglich um einen »Sturm im Wasserglas« verschärfte Kosslick zu Jahresbeginn sogar noch ein weiteres Mal den Ton in dieser an sich längst fälligen Festivaldebatte: Immerhin handelt es sich bei der Berlinale, dem größten und finanzstärksten Filmfestival Deutschlands, um ein kulturelles Aushängeschild des Bundes, das prinzipiell niemandem egal sein kann und welches zudem für die Zukunft programmatisch wie personell dringend neu aufgestellt werden muss: Gerade auch im Hinblick auf die führende Konkurrenz aus Cannes, Venedig, Locarno und Toronto. Währenddessen haben manche der Unterzeichner, wie beispielsweise Dominik Graf oder Andreas Dresen, Ende des Jahres verbal schon wieder zurückgerudert, was nur ein weiteres Mal beweist: Der aktuelle Beziehungsstatus, auch untereinander, ist ziemlich kompliziert.
Derweil wartet der »Berlinale«-Aufsichtsrat, der im Januar zu einer weiteren Sondersitzung zusammenkam, auf besonders aussichtsreiche Kandidaten, die Kosslick dann nächstes Jahr beerben sollen: Im Idealfall erstmals aufgeteilt in ein Direktoren- sowie ein Präsidentenamt, wie es in Cannes schon lange Usus ist. Trotzdem fehlen bisher schlichtweg die wirklich hundertprozentigen Kandidaten, wie es aus dem Kreis der Staatsministerin heißt. Nur eines wurde bisher aus dem Kanzleramt offiziell bestätigt: Es werde aktuell nicht primär nach einer weiblichen oder deutschsprachigen Kandidatin für das Direktorenamt gesucht. Wer also 2019 neben dem bisherigen Amtsinhaber möglicherweise als neue Führungsriege auf dem roten Teppich präsentiert werden kann, steht nun auch unmittelbar vor dem Beginn des diesjährigen Festivals weitgehend in den Sternen: Fortsetzung folgt – zu hundert Prozent.
Bei all dem harschen Hintergrundrauschen sind die eigentlichen Stars des Festivals, die bisher bekannt gegebenen Filme nämlich, dieses Mal ziemlich ins Hintertreffen geraten, was nicht besonders fair ist: nicht nur aus bayerischer Sicht. Alleine die Reihe »Perspektive Deutsches Kino« könnte dieses Jahr beinahe schon in »Perspektive HFF München« umbenannt werden, weil darin gleichzeitig so viele Münchner – als Studenten wie Absolventen – vertreten sind. Im mit Spannung erwarteten Abschlussfilm »The Best Thing You Can Do with Your Life« trifft beispielsweise die Dokumentarfilmregisseurin Zita Erffa ihren Bruder László wieder: zum ersten Mal nach acht Jahren Funkstille und seinem Eintritt in den umstrittenen Orden der »Legionäre Christi«. Vielversprechend klingt auch der Abschlussfilm von Alexandra Wesolowski (»Impreza – Das Fest«), der sich um die polnische Matriarchin Danuta dreht, die anlässlich ihrer goldenen Hochzeit sämtliche Familienmitglieder zusammentrommelt. Anstatt jedoch gemeinsam zu feiern, bestimmt sehr schnell Polens Tagespolitik das Geschehen, in der Tradionalismus, Nationalismus und Rechtspopulismus gerade eine verheerende Allianz eingehen.
Neben weiteren HFF-Spielfilmen von Ben Brummer (»Feierabendbier«), Antje Beine (»Kein sicherer Ort« und Susan Gordanshekan (»Die defekte Katze«) und einer prominenten BR-Produktion, Hans Weingartners »303« als Eröffnungsfilm der Reihe »Generation 14plus«, richten sich im Wettbewerb viele Augen auf Philipp Grönings sechsten Langfilm: Das Inzestdrama »Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot« mit dem Otto-Falckenberg-Absolventen Josef Mattes in der Titelrolle, an dem der international renommierte HFF-Absolvent (»Die Frau des Polizisten«/»Die große Stille«) seit 2007 mit vielen Unterbrechungen arbeitete und in dem Martin Heideggers Zeittheorien eine bedeutende Rolle spielen.
Ein weiterer Bären-Kandidat ist sicherlich Christian Petzolds freie Anna-Seghers Adaption »Transit«, die im gegenwärtigen Marseille angesiedelt und mit Franz Rogowski in der Hauptrolle besetzt ist: Das populäre Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele spielt nun schon zum zweiten Mal – nach seiner Rolle in Michael Hanekes Cannes-Film »Happy End« – als Schauspiel-Shootingstar im europäischen Autorenfilmerhimmel ganz vorne mit. Ob nun am Ende dieses sehr speziellen »Berlinale«-Jahrgangs Dieter Kosslick als der titelgebende »Verlorene« alleine dasteht, ist zwar derzeit noch ungewiss, aber Felix Hassenfratz erzählt in seinem gleichnamigen Langfilmdebüt (Produktion: VIAFILM München) von der deutschen Provinz, in der jeder jeden kennt und in der die Angst vor dem Unbekannten mindestens genauso groß ist wie die Sehnsucht danach: Besser lässt sich die Stimmung im Vorfeld der 68. Berlinale kaum in Worte fassen. ||
68. INTERNATIONALE FILMFESTSPIELE BERLIN
15.–25. Februar 2018 | Vollständiges Filmprogramm
Das könnte Sie auch interessieren:
Il buco – Ein Höhlengleichnis | MF Online Deluxe
Squaring the Circle: Der neue Film von Anton Corbijn
Filmfest München 2021: Zurück im Kino
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton