Thomas Feuerstein dekonstruiert und aktualisiert den antiken Mythos von menschlicher Hybris und Selbstbestimmung: Die ERES-Stiftung präsentiert seine Labor-Ausstellung »Prometheus delivered«.
Nicht nur im Silicon Valley wird an disruptiven Technologien geforscht, die unsere Gesellschaft verändern werden. Intelligente Computer lernen das Lernen und werden bald unsere Autos fahren. Mit neuen Gentechnologien können ganze Spezies verändert werden, auch der Mensch, und das Fleisch auf unseren Tellern kommt vielleicht bald aus dem Zellenreaktor. Die Wissenschaft entwickelt sich rasend schnell, unsere Gemeinschaft und unser Verständnis von Ethik muss sich ähnlich rasant entwickeln, immer im Spannungsfeld zwischen glänzender Utopie und mahnender Dystopie. Natürlich schlagen sich diese technologischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen auch in der Kunst nieder, die oft als Seismograf für Veränderungen besonders früh und sensibel reagiert.
Schlauch- und Pumpsysteme, Bioreaktoren und chemische Flüssigkeiten: Thomas Feuerstein arbeitet in seiner künstlerischen Praxis an den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst. Er kombiniert in seinen Projekten Ansätze aus Philosophie, Kunstgeschichte und Literatur mit Biotechnologie, Ökonomie und Politik und schafft so Arbeiten und Installationen, die sich dem Kern des Lebens annähern. In der ERES-Stiftung zeigt er nun ab dem 11. Januar sein Projekt »Prometheus delivered«, das letzten Herbst im Haus am Lützowplatz in Berlin zu sehen war. Die ERES-Stiftung in der Römerstraße bezeichnet sich selbst als Plattform für Kunst und Wissenschaft, da ist es nur folgerichtig, dass Thomas Feuerstein sein künstlerisches Labor in ihren Räumlichkeiten aufbaut.
Ein zentrales Objekt der Ausstellung ist eine Replik von Nicolas-Sébastien Adams Marmorfigur »Prométhée enchaîné« aus dem Jahr 1762. Der mythische Halbgott Prometheus wird von Zeus zur Strafe an einen Felsen gekettet – er hatte den Menschen unerlaubt das Feuer gegeben, und somit die Möglichkeit zur selbstbestimmten Entwicklung. Ein Adler reißt diesem Ungehorsamen nun täglich die immer wieder nachwachsende Leber aus dem gequälten Leib. Thomas Feuerstein widmet sich in seiner Arbeit diesem Mythos und eignet ihn sich an. Er gliedert die Skulpturkopie in einen Prozess ein, in dem Bakterien Marmor zu Gips verstoffwechseln und dieser in einem hochkomplexen biochemischen System zur Nahrung menschlicher Leberzellen wird.Mittels einer sauren Lösung, die durch Löcher im Marmor gepumpt wird, wird die Skulptur langsam aufgelöst, erodiert so innerlich. Ein Kreislauf aus Zerstörung und Neuerschaffung entsteht nun, denn in einem Bioreaktor, in dem humane Hepatozyten heranwachsen, entsteht gleichzeitig eine neue dreidimensionale Leberskulptur. In der Ausstellung werden außerdem Zeichnungen und Objekte präsentiert, eine literarische Fiktion in Form eines Hörspiels informiert über biochemische Prozesse.
Körper und Stein, Technologie und Mythos, Glaube und Angst: Thomas Feuerstein greift den antiken Mythos des Prometheus gekonntauf und setzt ihn in einen hochaktuellen Kontext. Dass die Möglichkeit zur Selbstbestimmung (die Prometheus durch den Feuer-Raub einleitete) auch nicht kalkulierbare Gefahren birgt, hat die zu kollektiver Hybris tendierende Menschheit immer wieder bewiesen, nicht zuletzt in Fukushima. Dass die Zukunft weitere kritische Wendepunkte bereithalten wird, illustrieren aktuelle Artikel über genetisch optimierte Lasttiere und ethisch denkende Roboter. Der österreichische Künstler war in München schon 1993 in der Präsentation »Künstliche Spiele« des Medienlabors München vertreten, 2008 zeigte die Galerie Kampl von ihm »Soylent Green«, und zuletzt war er 2012 in der ERES-Stiftung an »CHAOS!« beteiligt. In dieser Einzelausstellung nun nähert sich Thomas Feuerstein – über den Mythos Prometheus– dem Mythos der technischen Entwicklung und der vermeintlichen Gottwerdung des Menschen mittels Fortschritt. Ein kluges Projekt zwischen Utopie, Science-Fiction und Bio-Horror. ||
THOMAS FEUERSTEIN: PROMETHEUS DELIVERED
ERES-Stiftung| Römerstr. 15 | 11. Januar bis 24. März| Di, Mi, Sa 11–17 Uhr und nach Vereinbarung | Eintritt frei | Führungen Sa, 15 Uhr: 3./24. Feb., 17./24. MärzVorträge/Dialoge: 30. Jan., 19 Uhr, Prof. Dr. Wolfgang W. Schmahl (LMU, Mineralogische Staatssammlung), »Was Leben und Tod verbindet.«
Biomineralisation als moderne Wissenschaft; 28. Feb., 19 Uhr, Ass. Prof. Dr. Thomas Seppi (Medizinische Universität Innsbruck), »Leber aus dem Labor?« Einblicke in die Forschung zu künstlichen »Organen«, Thomas Feuerstein über zelluläre Ökonomie und Kannibalismus | Der Katalog (168 S.) kostet 10 Euro
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