Michel Decar sinniert in »Philipp Lahm« über die Freuden der Durchschnittlichkeit.

Gunther Eckes als netter Langweiler Philipp Lahm © Julian Baumann

Am Ende dieses Abends, der nur Aufstieg und keinen Fall kennt, ist das Glück vollkommen: beim Saurier-Puzzle zu Roxy Musics »Avalon«. Als Resi-Intendant Martin Kušej ankündigte, dass Michel Decar ein Stück mit dem Titel »Philipp Lahm« schreiben würde, hätte einemklar sein können, dass das ein gewiefter Coup ist, der mit Fußball nicht das Geringste zu tun hat. Das Einzige, was an den echten Philipp Lahm erinnert, sind die Fußballer-Kniestrümpfe, die Gunther Eckes an diesem Abend als Mann ohne Eigenschaften zum Internatsanzug mit Muskelpolstern trägt. Oder sind es Schutzpolster gegen die Unbilden des Lebens? Kann nicht sein. Dieses Leben hält nur Glück bereit für einen, der sich immer fühlt wie in Jurassic Park Teil eins – ohne das Ende zu kennen. Decar hätte seinen Text auch »Das Glück im Winkel« nennen können.

Und so berichterstattet Robert Dölles Stimme aus dem Off ausführlich die Banalitäten eines belanglosen Durchschnittslebens in Dutzenden durchnummerierter Kurzszenen, die Gunther Eckes in der Titelrolle mit milder Freundlichkeit und engagierter Präzision ausführt. Philipp Lahm sieht Tagesschau, schneidet sich die Fingernägel, sieht Tagesthemen, trifft sich mit Journalisten aller führenden Zeitungen der Welt bei Nordsee, im Tierpark, in der Elbphilharmonie oder einer Konditorei. Philipp Lahm sieht das Nachtmagazin. Fernsehen und früh ins Bett gehen ist seine Lebenseinstellung. Nur ein übertriebener Hang zu weißer Nussschokolade lässt auf Abgründe schließen, die gerade mal so tief sind wie die Rillen im Reifenprofil seines Audi, mit dem Philipp Lahm natürlich in gemäßigter Geschwindigkeit durch die Gegend gondelt und nicht braust. Maximilian Lindner hat dafür eine Wohnzimmerbühne mit Green Box und zwei Stellwänden mit Minifahnen in denMarstall gestellt. Unwillkürlich denkt man an Sheldon Cooper aus »The Big Bang Theory«, dessen »Spaß mit Flaggen« im Verhältnis dazurichtig thrilling ist. Oder an Rattelschneck-Cartoons in ihrer lakonischen Absurdität.

Regisseur Robert Gerloff singt das Hohelied der Durchschnittlichkeit und hat sich allerhand einfallen lassen, damit die Zuschauer dieses drögen Mittelmaßes nicht das große Gähnen befällt. Auf einer großen Leinwand zeichnet er eine Gegenwelt, in der Gunther Eckes als Skulptur aus Wänden ragt, in Ecken steht und von Borden hängt. Philipp Lahm als Alltagskunst im Raum oder als einer, der interessiert neben seinem Leben steht. Und während ein Bulldozer in der Videoprojektion still und beharrlich ein Werk der Zerstörung vollzieht und Eckes schließlich aus der Bulldozerschaufel auf den Tisch schüttet, genießt Eckes Lahm auf der Bühne gerade intensiv seine langjährige Beziehung. Gunther Eckes kann allerdings auch anders. In Extempores reagiert er immer genervter auf die Dramaturgie des Glücks, die es hier zu ertragen gilt. Unter der Oberfläche der Durchschnittlichkeit brodelt nämlich selbst bei Philipp Lahm alias Max Mustermann jederzeit die Möglichkeit des Ausrastens. Und Eckes Robocop-Duschtanz zu Madonnas »I know it« ist einfach grandios und gar nicht lahm. ||

PHILIPP LAHM
Residenztheater – Marstall
Marstallpl. 5 | 17. Jan., 24. Feb.| 20 Uhr
4., 11. Feb.| 19 Uhr | Tickets: 089 21851940

 


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