Seit gestern im Kino: »Das Leuchten der Erinnerung« von Paolo Virzi.
Ella und John sind beide alt und beide sind auch nicht mehr gesund. Er leidet an Altersdemenz, sie an Krebs. Das klingt ganz schrecklich und nicht besonders animierend, um ins Kino zu gehen. Aber von dieser Ausgangssituation sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen. Denn Ella wird von Helen Mirren gespielt und John von Donald Sutherland. Das sind per se schon ausreichend gewichtige Gründe, um sich ins nächste Filmtheater aufzumachen. Dass die beiden dann tatsächlich eine Leichtigkeit an den Tag legen, auf ihrer spontanen Fahrt ins Blaue in dem Campingbus, der dem Film seinen Originaltitel gibt (da heißt er viel weniger kitschig »The Leisure Seeker«), die jüngere Schauspieler sich kaum aus den Rippen säbeln können, macht den Film zu einem sanften, heiteren Hochgenuss.
Alter ist alternativlos, schrieb strohtrocken schon der verehrte Dieter Hildebrandt im Münchner Feuilleton, und daran wird sich bis auf weiteres auch nichts ändern. Allerdings, und das führen Helen Mirren und Donald Sutherland liebenswürdig und würdevoll vor, ist das Alter keine Entschuldigung für Larmoyanz und Selbstmitleid. Vielmehr werden Energien frei und Wutausbrüche zelebriert, die lange genug auf ihr Ventil gewartet haben. Die beiden lieben sich so inniglich, dass man vor den Bildern sitzt und sich nichts mehr wünscht, als dass man so selbst irgendwann seinen Lebensabend verbringen darf. Spontan, humorvoll, bei aller Verwirrung mit klarem Blick für das Wesentliche. Egal, ob das ein Burger ist, die schönsten Sätze von Ernest Hemingway oder der Fahrtwind. Paolo Virzi, von dem zuletzt u. a. die Gesellschaftssatiren »Die süße Gier« und »Die Überglücklichen« im Kino zu sehen waren, präsentiert einen Film, der sehr unprätentios und durchaus komödiantisch mit dem Thema der Endlichkeit umgeht. Während die erwachsenen Kinder an der Unberechenbarkeit ihrer Eltern schier verzweifeln, sind sich die beiden Alten bewusst, was ihre Freiheit für ein Luxus ist. Diesen genießen sie in so vollen Zügen wie nur möglich, und es ist logisch, dass Janis Joplin mit »Me and Bobby McG« ihren Roadtrip musikalisch begleitet: Das Programm, das Ella und John absolvieren, heißt »Freedom’s just another word for nothin‘ left to lose«. Virzi gelingt es, an den Tränendrüsen vorbei zu arbeiten. Das ist wunderbar. Das Ende ist zartbitter und soll nicht verraten werden.
Das Leuchten der Erinnerung (The Leisure Seeker)
Italien, Frankreich 2017 | Regie: Paolo Virzi | Mit Helen Mirren, Donald Sutherland, Christian McKay, Janel Moloney | 113 Minuten | Start: 4.1.2018
Trailer
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