Große Emotionen sind genau das Ding des Münchner Filmemachers Markus Goller. Kein Wunder, dass auch er selbst am Set seines berührenden Films »Simpel« die eine oder andere Träne verdrückt hat.
Er ist schon ein Tausendsassa. Denn beinahe alles, was Andreas Goller anfasst, wird zu Gold – zumindest, wenn es sich dabei um die Verfilmung eines Drehbuchs handelt. Dreimal traf der gelernte Cutter dabei schon ins Schwarze: 2010 mit dem Comedy-Roadmovie »Friendship!« um zwei junge Ossis, die kurz nach dem Mauerfall ohne Kohle und Sprachkenntnisse die USA entdecken wollen. 2011 mit der inzwischen in den Kultstatus erhobenen Heimatfilm-Komödie »Eine ganz heiße Nummer«, in der drei Frauen unterschiedlichster Couleur ausgerechnet im tiefsten Niederbayern versuchen, mit einem Telefonsexservice zu reüssieren. Und 2013 mit »Frau Ella«, dem sympathischen Generationenporträt um einen jungen Mann, der mit einer betagten Dame Reißaus nimmt, um in Paris deren große Liebe zu finden. Alle drei Filme haben gemein, dass sie jeweils deutlich mehr als eine Million Kinobesucher auf sich vereinen konnten, also den Publikumsgeschmack mitten ins Herz trafen. Kein Wunder, ist der Regisseur doch jemand, der am Set auch mal eine Träne verdrückt, wenn ihn eine Szene besonders berührt. Vermutlich wirken seine (Anti-)Helden auch deshalb so authentisch, so lebensnah.
Parallelen sind bei seinen Filmen aber auch in inhaltlicher Hinsicht zu erkennen. So kann man Gollers Protagonisten als Suchende bezeichnen, als Außenseiter, die am Rande unserer Gesellschaft kaum Beachtung finden, aber auch als liebevolle, aufrichtige Menschen mit Ecken und Kanten, die man gerne
auf ihrer Selbstfindungsreise begleitet. Jetzt knüpft der gebürtige Münchner (Jahrgang 1969), nach einem etwas weniger erfolgreichen Ausflug in den Episoden-Weihnachtsfilm mit »Alles ist Liebe« (2014), wieder nahtlos an – an seine großen Geschichten mit starken Charakteren, die den Balanceakt zwischen Tragik und Komik nahezu traumwandlerisch sicher vollziehen. Dafür hat er sich den französischen Bestsellerroman »Simpel« als Vorlage ausgesucht. »Simpel« erfüllt alle Voraussetzungen, die ein guter Goller-Stoff braucht: Zwei kauzige Brüder, die nicht konträrer sein könnten, begeben sich auf einen gemeinsamen turbulenten Trip, an dessen Ende viel Selbsterkenntnis steht. Verkörpert werden die beiden von Frederick Lau und David Kross, wobei Kross in diesem Fall die deutlich diffizilere schauspielerische Leistung vollbringt, schlüpft er doch in beeindruckender Manier in die Titelrolle des von allen nur Simpel genannten Barnabas, eines 22-Jährigen, der sich geistig auf dem Stand eines Kindes befindet.
Auf der Kinotour im Herbst – der Film lief unter anderem bereits auf dem Filmfest Hamburg vor 1200 begeisterten Zuschauern – bekam Goller auch viel Lob von einigen Besuchern dafür, dass er endlich einmal wirklich mit einem Behinderten gedreht habe. Eine größere Auszeichnung konnte Kross wohl kaum bekommen, zumal die Achtung vor seiner Leistung ins Unermessliche stieg, als am Ende herauskam, dass hinter Simpel ein leibhaftiger Schauspieler steht.
Im Gegensatz zur Romanvorlage, in der sich unzählige Nebenfiguren tummeln, konzentriert sich Goller vor allem auf das Brüderpaar, bei dem Lau als Ben die wesentlich gravierendere Entwicklung durchmachen muss. Denn während Simpel schlicht und einfach sein darf, was er eben nun mal ist, bekommt Ben auf durchaus schmerzhafte Weise vor Augen geführt, dass letztlich er derjenige ist, der Hilfe und Unterstützung benötigt, und nicht etwa sein kleiner »doofer« Bruder. Der Film, der viel Dramatisches in sich birgt, ohne dabei das Komödiantische zu vernachlässigen, ruft Erinnerungen wach an thematisch ähnlich gelagerte Werke wie »Forrest Gump«, »Mein linker Fuß« oder »Rain Man«. Doch Goller kopiert nicht, bleibt sich und seiner Handschrift treu, kreiert etwas Neues, und dennoch erkennt man am Inszenierungsstil, am Umgang mit den Figuren, an seiner Wahrhaftigkeit den Regisseur von »Friendship!« und »Frau Ella« sofort wieder. David Kross allerdings wird sich den Vergleichen mit den Oscarpreisträgern Dustin Hoffman, Daniel Day-Lewis und Tom Hanks stellen müssen – und zwar bei den zahlreichen Veranstaltungen, auf denen man ihn in den kommenden Monaten, ähnlich wie seine US-Kollegen zuvor, mit Preisen und Anerkennungen für seine überragende Performance überhäufen wird. ||
SIMPEL
Deutschland 2017 | Regie: Markus Goller
Mit: David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle | 113 Minuten
Kinostart: 9. November
Trailer
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