Andrea Gronemeyer eröffnet ihre Schauburg-Intendanz mit vier Produktionen. Drei davon sind Mitbringsel aus Mannheim.
Leicht ist schwer was, wusste schon Ottfried Fischer. Und es ist nicht leicht, ein Kinder- und Jugendtheater zu übernehmen, das 27 Jahre lang kontinuierlich von einer Leitung geprägt wurde. Intendant George Podt und seine Frau, die Chefdramaturgin Dagmar Schmidt, haben die Schauburg am Elisabethplatz zum besten deutschen Jugendtheater gemacht – mit dem Konzept »Kompliziertheit gegen Vereinfachung«. Ihre Produktionen verweigerten sich der Anbiederung an Alltagsthemen, forderten stattdessen heraus zur Auseinandersetzung mit Weltliteratur und mit einer eigenständigen, anspruchsvollen Ästhetik, geprägt von Regisseuren wie Peer Boysen und Beat Fäh.
Podts Nachfolgerin Andrea Gronemeyer arbeitet seit 25 Jahren sehr erfolgreich im Kinder- und Jugendtheater, zuletzt leitete sie das Junge Nationaltheater Mannheim. Sie führte dort Tanz- und Musiktheater für Kinder ein sowie Angebote für die ganz Kleinen ab zwei Jahren. Drei ihrer Produktionen aus Mannheim und eine Uraufführung präsentierte sie am Eröffnungswochenende – daran lassen sich Konzept und Bandbreite der neuen Intendantin schon gut erkennen. Vielleicht war’s programmatisch, dass die allererste München-Premiere nicht in der Schauburg selbst stattfand. Dort wurde das Bistro im Keller zur Kleinen Burg umgebaut, die Hauptbühne heißt jetzt Große Burg, aus dem Studio unterm Dach wird ein Workshop-Lab, die Gastronomie ist auf einen Kiosk im Foyer reduziert.
Bei der Schreimutter im Schwarzraum
Für »Der unsichtbare Vater« musste man in die lichte Turnhalle der Dom-Pedro-Grundschule, denn die Kammeroper wird mobil nur in Schulen gezeigt. Drei Klassen (acht, neun Jahre alt) kriegten erst mal von drei Darsteller-Musikern je eine halbe Stunde Unterricht: zum Mitsingen und Mitklatschen bei sperrigen Rhythmen und pentatonischen Harmonien. Komponistin Juliane Klein hat Amelie Frieds Kinderbuch »Der unsichtbare Vater« spannend umgesetzt. Die Mutter (Fanny Mas), meist am Küchentisch, spielt Akkordeon, der geschiedene und deshalb abwesende Vater (Olaf Schönborn) Saxofon, Mutters neuer Freund Ludwig (Michael Aures) entlockt einem umfangreichen Schlagwerk zarte Klänge. Sohn Paul (der spielfreudige Tenor Philipp Nicklaus)protestiert singend gegen den Eindringling. Die Inszenierung von Sybrand van der Werf bleibt minimalistisch deutlich. Ein Kissen hinter dem Kopf heißt Bett, Teller auf dem Tisch bedeuten Essen. Mehr braucht’s nicht, um eine Entwicklungsgeschichte zu erzählen.
Die Kinder waren verblüffend konzentriert dabei. Und ihre Einsätze funktionierten hervorragend und diszipliniert. Konzentriert waren auch die Jüngeren ab vier Jahren bei der »Schreimutter« im Schwarzraum der Kleinen Burg. Die große weiße Kugel, Fläche für abstrakte Projektionen (Bühne: Christian Thurm), entpuppt sich als Bettsessel eines Mädchens, das in einem Wutanfall seinen Kuschel-Pinguin zerfetzt. Dessen Körperteile landen in verschiedenen Kontinenten, im Meer und im All, bloß können weder Schnabel, Bauch, Flügel noch Füße mit sich allein was anfangen. In der Regie von Taki Papaconstantinou spielt Helene Schmitt entzückend die kindliche Mama, die alles zusammensucht und dabei kleine Tiger wie große Affen trifft. Eine bezaubernde, poetische Petitesse.
Klinik und Rhythmus
Nicht ganz so glücklich machte die Uraufführung »Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte«, die Hauptproduktion auf der großen Bühne. Was der holländische Regisseur Theo Fransz und die Schauburg-Dramaturgin Anne Richter aus dem Kinderbuch von Anne Woltz als Bühnenfassung destillierten, ließ einerseits den pädagogischen Zeigefinger aufscheinen, biederte sich andererseits bei Jugendlichen durch groteske, lächerliche Kostümierungen an. Mareile Krettek (Bühne und Kostüme) entwarf einen riesigen, drehbaren Zylinder, auf den es draußen per Projektion ständig schneit. Drinnen ist die Klinik, wohin die 9-jährige Bente nach einem Unfall muss. Hier verliebt sich Bentes 12-jährige Schwester Felicia (Anne Bontemps), die Fitz genannt werden will, in den 15-jährigen Adam (Janosch Fries). Aber weil sich ihre Eltern gerade getrennt haben, traut Fitz den eigenen Gefühlen nicht. Ihre Tigermaske will sie zunächst nicht abnehmen – auf ihrer Stirn steht nämlich »Mama soll sterben«. Aber im Grunde will sie, dass die Eltern sich versöhnen. Und lässt sich mit Adams Hilfe als magische Beschwörung deren Eheringe an ihrem angeblich gebrochenen Arm eingipsen. Das hilft zwar nicht viel, aber immerhin gelingt es den beiden, stellvertretend einen Doktor und eine Krankenschwester zu verkuppeln, deren Lovestory zum Schattenspiel wird. Dazwischen funkt immer mal die herzkranke und durchgeknallte Primula im Rollstuhl als Vierte der Jugendbande. Als auch Papa operiert werden muss, entspannt sich zumindest das Verhältnis der Eltern.
Die Klinik als Brennpunkt – alles ist ein bisschen überkonstruiert. Das neue Ensemble zeigt sich jedenfalls in bester Spiellaune. Wie die Öffnung zu Tanz und Bühne aussehen kann, zeigt exemplarisch Andrea Gronemeyers Inszenierung »Tanz Trommel«. Dafür erhielt die Regisseurin 2014 den Faust-Theaterpreis. Die Tänzerin Julie Pècard und der Perkussionist Peter Hinz haben etwas gemeinsam, das sie unterscheidet. Sie hat rot bemalte Füße, er rot bemalte Hände – ihre Instrumente, mit denen sie tanzend und klopfend von zwei Seiten aus die Welt ertasten. Die ist hier eine Holzwand in der Mitte (Bühne: Christian Thurm), die beide allmählich in ihre Bestandteile zerlegen. Und alle präparierten Kästen und Boxen eignen sich als Klangwerkzeug. Großartig, wie sich langsam statt der Wand eine Beziehung aus Interesse und Skepsis aufbaut. Mal gibt er den Rhythmus vor, mal muss er ihren Bewegungen folgen. Alles ohne Worte. Nur am Ende erklärt jeder kurz, was ihn zu seiner Kunst antreibt. Alles Schwere scheint hier leicht. So darf es gerne weitergehen in der Schauburg. ||
GIPS
9., 11. Nov.| 19 Uhr | 10. Nov.| 10 Uhr | 13. Nov.| 11 Uhr
TANZ TROMMEL
5. Nov.| 16 Uhr | 6. Nov. | 10 Uhr | 7. Nov.| 9.30 und 11 Uhr
Schauburg | Elisabethplatz | Tickets: 089 23337155 |
Website
Das könnte Sie auch interessieren:
Fata Morgana: Influencer-Satire am Volkstheater
Die Bairishe Geisha: Das Performance-Projekt wird 21
Die Fledermaus: Jetzt am Gärtnerplatztheater
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton