… und Gitarre: das TamS mischt Kleists »Käthchen von Heilbronn« auf mit Punk und Witz.

Arno Friedrich (M.) müht sich als Held, Käthchen (Stefanie Dischinger, l.) und Kunigunde (Sophie Wendt) sind wenig beeindruckt | © Hilda Lobinger

Das Käthchen ist eine Stalkerin. Weil ihr ein Traum den Grafen Wetter vom Strahl als Gatten verheißen hat, folgt ihm die 15-Jährige überallhin, sogar im Tross seiner Soldaten. Der Graf ist fasziniert von dem unbeirrten Bürgermädchen, aber auch schwer genervt: Er wird es nicht mal mit der Peitsche los. Das Käthchen von Heilbronn ist eine der rätselhaftesten Frauenfiguren der deutschen Literatur, und das Riesendrama von Heinrich von Kleist (uraufgeführt 1810) eine wilde Mischung aller Genres: pompös-komisches Ritterspektakel, fantastisches Märchen, hanebüchene Räuberpistole, verworrene Intrige, Lovestory mit Traum-Ursprung und fragwürdigem Happy End. Denn bei der Hochzeit des Grafen soll statt der Giftmischerin Kunigunde plötzlich Käthchen ganz ungefragt die Braut sein. Kleist lässt sie ob dieser Willensvergewaltigung mit dem Ausruf »Schütze mich Gott« in Ohnmacht fallen. Im TamS zischt sie danach trotzig ab mit den Worten »Das hab ich mir anders vorgestellt«.

Regisseur Lorenz Seib hat sehr frei nach Kleist mit vier spielfreudigen Darstellern das Drama dekonstruiert und als punkig-freche Paraphrase inszeniert. Der Titel »Das Käthchen von Heilbronn hab ich mir anders vorgestellt« lässt Luft für Reflexionen der Schauspieler über Fiktion und Wirklichkeit auf dem Theater. Sophie Wendt in roten Stiefeln und mit aufgetürmter grauer Barockfrisur wird bei ihren ersten Sätzen gefragt »Wer bist du?«. Auf ihre Antwort »Der Vater« erntet sie den Konter: »Das glaubt dir doch keiner.« Die gelben Reclamheftchen in den Händen beweisen einerseits die Glaubwürdigkeit der Figur, andererseits, dass nur Theater gespielt, also Illusion hergestellt wird. Die Schauspieler reden immer wieder über ihre Befindlichkeit im Umgang damit, sie zitieren Antonin Artaud und Wolfram Lotz (»Rede vom unmöglichen Theater«).

Die Theorie wird aber nie kopflastig, sondern mischt sich witzig mit dem Käthchen-Textdestillat, das alle wichtigen Handlungsstränge verständlich erzählt und anspielt. Mit szenischer Fantasie auf dem nackten Bühnenpodest: Für das brennende Haus, aus dem Käthchen kurz vor dem Einsturz ein Dokument rettet, stapelt sie einige Mikroständer auf einen Tisch. Die Figuren scheinen einem schrägen Rockmusical entsprungen: ausstaffiert mit Lack, Nieten und wilden Perücken. Der dämonisch geschminkte Graf (Arno Friedrich) wirft sich wie ein Popstar von einer Heldenpose in die andere, was sehr komischnaiv sein kann. Sophie Wendt spielt neben dem Vater auch die intrigante Kunigunde, die sich den Grafen angeln will. Stefanie Dischingers mondän-rothaariges Käthchen ist selbstbewusst und aufmüpfig, sie weiß, was sie will. Und für jede Lebenslage hat der Gitarrist Neil Vaggers einen beziehungsreichen Popsong oder passend neu betexteten Rockklassiker aus den 80er Jahren gefunden.Hier lieben alle aneinander vorbei – wie so oft im wirklichen Leben, traurig und komisch zugleich. Auch ohne Vorwissen ist das ein intelligenter Spaß, ein bisschen Kleist-Kenntnis erhöht ihn noch. ||

DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN HAB ICH MIR ANDERS VORGESTELLT
TamS| Haimhauserstr. 13a | bis 18. Nov.| Mi bis Sa 20.30 Uhr | Tickets: 089 345890 | tams@tamstheater.de

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