Viele Produktionen beim Festival Spielart stellen herrschende Perspektiven in Frage.

Mamela Nyamza mit Bibel in »DE-APART-HATE« | © Suzy Bernstein

Mit Spitzhacke und Spitzenschuhen tanzte Mamela Nyamza bei Spielart 2015 ein exzentrisches Solo, das ihren persönlichen Weg vom Ackerbau zum Ballett erzählte und zugleich stereotype Zuschreibungen an Frauenrollen und die damit verbundenen Einschränkungen sezierte. In frech-charmanter Zuspitzung spiegelte sie den Blick auf die schwarze, afrikanische Frau und Künstlerin zurück. Diesmal präsentiert die südafrikanische Tänzerin, Choreografin und Menschenrechtsaktivistin bei Spielart ein Showing zur gemeinsamen Arbeit an einer Performance mit ihren Kolleginnen Chuma Sopotela, Buhlebezwe Siwani und Zikhona Jacobs (11. 11.). Die vier protestierten – in Netzstrumpfhosen – bei der Preisverleihung des Fleur du Cap Theatre Award 2017 gegen diese Art Auszeichnung künstlerischer Exzellenz, denn 74 Prozent der Nominierten waren weiße Kunstschaffende – und die in geringer Zahl vertretenen Farbigen werden von vornherein durch die elitären Kriterien diskriminiert.

Auch aufgrund der Reaktionen auf ihren Protest forschen sie nun weiter über Dominanzmechanismen: Die Performance »Rock to the Core« beschäftigt sich mit dem von weißen Männern geprägten Gebaren am Beispiel des Genres Rockmusik. Mamela Nyamza zeigt zudem mit »DE-APART-HATE« (3./4. 11.) ein Stück über die nach dem Ende der Apartheid immer noch andauernde Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der »Regenbogennation Südafrika«. Beides innerhalb von »Chasing Rainbows«, einem der Programmschwerpunkte des Festivals, in dem speziell auch fündig wird, wer sich für Tanz und Bewegung interessiert.

Reise in das Reich des Populismus

Das Spektrum von Spielart ist vielfältig und reicht von dokumentarischen Theaterarbeiten, etwa aus Argentinien, Belgien / Brasilien oder Kairo, und Cross-over-Formaten, wie einer Pop-Oper und multimedialen Installationen, über partizipative Performances bis hin zu Gesprächsduetten, Lectures und bunt gemixten, virtuos gesampelten Solos. Koranverse, Klagelieder und ein »Völkisches Liederbuch« werden gesungen, es wird gemeinsam geturnt (siehe Vorbericht auf Seite 2). Wie schon am Beispiel Nyamzas deutlich wird: Viele Produktionen beschäftigen sich explizit mit politischen Kontexten und sozialen Fragen in den jeweiligen Ländern, in die man so Einblicke gewinnen kann – seien es die Post-Apartheids-Gesellschaft Südafrikas oder die Bürgerrechte, genauer: der Rassismus, in den USA bei »#negrophobia« des New Yorker Poeten und Performers Jaamil Olawale Kosoko (1./2. 11.). Ausgangspunkt von dessen Performance ist der gewaltsame Tod seines Bruders und die Fragen nach Exotisierung und Abwehr des männlichen schwarzen Körpers. Der südafrikanische Performer und Choreograf Boyzie Cekwana wiederum entwirft in »The Last King of Kakfontain« das wundersame Reich eines gnadenlosen Populismus, ein Menetekel unseres globalen Demokratieverfalls (29./30. 10.).

»Nicht alle Künstler, die aus Südafrika anreisen, vertreten den gleichen politischen Standpunkt«, erläutert Dramaturgin Tamara Pietsch. »Man muss sich vor Einsortierungen hüten, vielmehr ergibt sich ein komplexes Geflecht an Querverbindungen zwischen den Produktionen und Perspektiven, wo man sie gar nicht vermuten würde.« Die Auseinandersetzung mit Geschichtsschreibung, mit Traditionen und dem Fortwirken des Kolonialismus, mit Identitätspolitik und Diversität, der sich viele Produktionen des Festivals widmen, wird bei »Crossing Oceans«, einem Diskurs- und Performance-Wochenende (3.–5. 11.), gebündelt. »Hier können in Paneels, Diskussionen, Performances noch einmal Schlaglichter geworfen und Themen vertieft werden«, so Tamara Pietsch, »auch was die besonderen Herausforderungen und Machtkonstellationen innerhalb einer immer internationaler werdenden Theater- und Festivallandschaft
angeht.«

Schneewittchen aus Manila

Interessant zu vergleichen, wie sich die Künstlerinnen und Künstler mit struktureller Gewalt auseinandersetzen. Die aus Zimbabwe stammende, in New York lebende Choreografin Nora Chipaumire beispielsweise setzt einen Boxring in Szene: im Kampf mit ihrem Vater, den sie selbst verkörpert. Schon der Titel »portrait of myself as my father« (30./31. 10) stellt die Frage, ob sich Stereotype einfach durchstreichen und jemals loswerden lassen. In »The Way You Look (at me) Tonight« ( 9./10. 11.) lotet die Glasgower Choreografin Claire Cunningham, die mit Krücken tanzt, im Dialog mit ihrem Kollegen Jess Curtis aus San Francisco, aus, wie Menschen einander ansehen und wie wir gesehen werden. Wie Frauen sich bewegen und benehmen, das zeigen Chuma Sopotela und Buhlebezwe Siwani aus Kapstadt in ihrem Enactment von Popsongs des 21. Jahrhunderts.

»Those Ghels« (7./10. 11.) schieben ihren Einkaufswagen passenderweise im Olympia-Einkaufszentrum. So sind sie, die Girls – Rosa, Shoppen und Diamanten-Sehnsucht gehen immer noch? Wir werden sehen. Auch Eisa Jocson aus Manila erinnert mit »Princess« (10./11. 11.) daran, wie Glück fetischisiert und Lächeln fabriziert wird: in einer globalen, postkolonialen Disney-Welt. Denn Schneewittchen bezaubert überall ihr Publikum. Die vielen philippinischen Tänzerinnen, die im Disneyland in Hongkong beschäftigt werden, sind freilich nicht schneeweiß und müssen sich mit Nebenrollen begnügen. ||

SPIELART FESTIVAL MÜNCHEN
Verschiedene Orte| 27. Okt. bis 11. Nov.| Programm und Tickets

 


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