Die Theater der Stadt beginnen die neue Spielzeit ambitioniert, allerdings nicht immer gelungen. Weitere Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe.

Romeo und Julia

Julia (Carolin Hartmann, li.) und Papa Capulet (Jakob Immervoll) auf dem Maskenball. Die Amme (Nina Steils) schaut zu| © Gabriela Neeb

von Sabine Leucht
Es geht um Liebe! Eigentlich eine Binsenweisheit, wenn das Liebesdrama der Weltliteratur auf dem Programm steht. Doch Regisseur Kieran Joel kommt in seiner »Romeo und Julia«-Version besonders rasch zur Sache: Unzählige Gemälde und Film-Stills von Balkonszene und Co. rasen zu Beginn über den Gazevorhang, der die mit vielen Treppen und weiteren Vorhängen bestückte Bühne von Jonathan Mertz verhüllt. Dazu nimmt eine Zwei-Stimmen-Collage schon etliche Liebesschwüre vorweg. Auf der Folie des allgemein Bekannten und ikonografisch Gewordenen hebt also bereits die erste Begegnung von Caroline Hartmann als Julia und Silas Breiding als Romeo ab, die immer wieder leibhaftig aus den Videomontagen von Christin Wilke aufzutauchen scheinen. Das ist so technisch geschickt wie sinnhaft. Denn der 32-jährige Regisseur lässt seinen jungen Blick auf die Liebe wie den Klassiker buchstäblich dem Wissen entsteigen, dass es auf beiden Gebieten eine Unmenge von Vorbildern gibt. Dazu hat er Frank Günthers immer noch frisch wirkende Shakespeare-Übersetzung mutig zusammengestrichen und mit stimmigen Fremdzitaten von Goethes »Faust« über Tolstois »Anna Karenina« und unnötigen Zeitgeist-Ausrufen wie »Fick die AfD!« oder »Wir schaffen das!« versetzt. Das Rätsel Liebe steht auf der Bühne; der familiäre Zwist bleibt eine Randnotiz. Von den rivalisierenden Gangs der Capulets und Montagues bleibt nur ein als Krawallclown ausstaffierter und agierender Tybalt übrig, den Romeo in einer länglichen Bühnenkampf-Posse erledigt.

Und ein paar Kernsätze der Liebe und Wut kehren wie zweistimmige Gesänge mantrahaft wieder: »Einzige Liebe, die im einzgen Hass sich fand! Erst unerkannt gesehn, jetzt viel zu spät erkannt …« Mit Leidenschaft und Können gehen die beiden Hauptdarsteller gegen den Romantizismus der Vorlage an, stellen das existenzielle Erlebnis Liebe auf einer dezidierte als Theater ausgewiesenen Bühne (Vorhänge, viel Qualm, eine weit ins Parkett hineinreichende »Show«-Treppe) immer wieder neu her. Die Liebe als Wagnis und Kampf, der aber aufgrund des weitgehenden Verlusts des Außendrucks und der Albernheit vieler verbliebener Nebenfiguren oft aufgebauscht wirkt, steht hier »moderneren« Liebesauffassungen gegenüber: Wenn etwa Max Wagners gelackter und »genudelter« Paris Vater Capulet »98,2% Match« mit Julia und »Liebe ohne Risiko« verspricht – und seine Parship-Empfehlung am Ende wie eine Losniete zerknüllt. Oder wenn Mercutio, der bei Luise Kinner statt mit shakespeareschen Verbalsauereien mit einem zynischen Realitätssinn bewaffnet ist, mit überschnappender Stimme die »Scheiße« ausmalt, in der das Himmelhochjauchzen üblicherweise endet. Kinner ist furios, selbst in der ausufernden Szene, in der sie Romeo Mercutios Tod wie einen fiesen Racheakt serviert. Die auf Film nur anzitierte Balkonszene ist dagegen hübsch unklischeehaft, aber allzu kurz. Und so hängt an diesem jungen, verspielten Abend so manches Mal das Gewicht etwas schief. Und der Schluss, der den beiden die traurige Erfüllung im gemeinsamen Tod verweigert, gibt Rätsel auf. Aber man kann das so machen, keine Frage! ||

ROMEO UND JULIA
Volkstheater| 11., 12., 28. Okt., 7., 17., 18. Nov., 4. Dez.| 19.30 Uhr | 22. Okt.| 20 Uhr | Tickets: 089 5234655

Trüffel, Trüffel, Trüffel

Das Ensemble als vermeintliche Großbürger | © Julian Baumann

von Petra Hallmayer
Sie sind eine lächerlich kostümierte Bagage. Madame Malingear trägt ein scheußliches groß geblümtes Kleid, ihr dickbäuchiger Gatte, der seine Glatze notdürftig kaschiert, steckt in einem hellblauen Anzug. Unter dem rosa Frack seines Schwagers in spe blitzen rosa Hosenträger hervor, Onkel Robert hat
zur Trainingshose rote Ohrgehänge angelegt. In einer langen Reihe stehen die Schauspieler auf der Bühne, die bis auf eine auf den Kopf gestellte Pyramide und einen an der Seite herabhängenden Vorhang leer ist. Ab und zu wechseln sie die Positionen, ansonsten sprechen sie aus dem Stand Eugène Labiches Text.

In seinem Lustspiel »Trüffel Trüffel Trüffel« von 1861 führt der französische Vielschreiber geldige Kleinbürger vor, die Großbürger spielen wollen. Emmeline (Zeynep Bozbay), die Tochter der Malingears, und der junge Frédéric Ratinois (Samouil Stoyanov) haben sich ineinander verliebt. Bei den Verhandlungen über die Hochzeit ihrer Kinder steigern sich die Elternpaare, die sich für ihre Herkunft schämen, in tolldreiste Hochstapeleien, liefern sich einen wahnwitzigen Wettstreit darin, sich wechselseitig zu überbieten. Madame Malingear (derb burschikos: Nils Kahnwald) erfindet flugs einen Kammerdiener und einen Kutscher und fälscht den Brief einer Gräfin. Der Ex-Zuckerbäcker Ratinois verwandelt sich in einen Fabrikanten »im Zuckerbusiness« und abonniert einen Logenplatz in der Oper, in der sich alle entsetzlich langweilen.Labiche jongliert in »La poudre aux yeux« – so der Originaltitel – routiniert und gekonnt mit gewitzten Dialogen, die Tobias Haberkorn flüssig und flott neu übersetzt hat. Felix Rothenhäusler packt den Klassiker des leichten Genres in eine strenge Form, bannt die Figuren in ein minimalistisches statisches Bild. Das funktioniert durchaus, fügt dem Lustspiel jedoch keinen Mehrwert an Substanz oder Relevanz hinzu.

Was den 36-jährigen Regisseur an dem Stoff interessiert hat, warum er ihn hier und heute inszenieren wollte, erschließt sich nicht. Viel Neues ist ihm dazu nicht eingefallen. Wenn Maman Emmeline zum »Rouladen spielen« ans Piano schickt, stimmt diese Lana Del Reys Song »Love« an. Die Zuschauer dürfen wohlig distanziert lachen über diese plump klotzenden und protzenden Doofis, die sich in Fremdwörtern verheddern. Für die schönsten spielerischen Pointen sorgt die bis zur Unkenntlichkeit verkleidete fantastische Annette Paulmann als Doktor Malingear. Wiebke Puls tupft als Emilia-Amalia Ratinois körpersprachlich und mimisch kleine komische Glanzlichter hin. Marie Rosa Tietjen plustert sich als Monsieur Ratinois drollig auf. Eine spritzige Gesellschaftskomödie können sie aus Rothenhäuslers Inszenierung allerdings nicht machen. Seine knapp einstündige Bluffer-Posse ist eine putzige Petitesse mit amüsanten Momenten. Der Schlussgag gehört dem sozialschamfreien Holzhändler und peinlichen Verwandten Onkel Robert (Risto Kübar), der ungeniert die horrenden Rechnungen der Schwindler begleicht. ||

TRÜFFEL, TRÜFFEL, TRÜFFEL
Kammerspiele – Kammer 2| 8. Okt.| 19 Uhr | 5. Nov.| 18 Uhr
22. Nov.| 20 Uhr | Tickets: 089 23396600 | www.kammerspiele.de

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