So, es wird ernst: Die Ferienzeit hat begonnen. Wo man auch hinfährt, man sollte guten Lesestoff dabei haben. Diese drei Bücher könnten Sie begleiten.

In der Isolierzelle. Gedichte

Da ist dieser Astronaut im michelinmännchenwurstigen,angegraut türkisen Raumanzug, ein Bein in der Luft, zurückgefedert vom ollen Blasebalg. Über ihm rauscht der Schlauchdes nutzlosen Geräts gen Himmel, schwerelos schnell herausgeplöppt und jeden Moment unerreichbar. Solch komische Hilflosigkeiten in Wort und Bild gibt es etliche im zweiten Gedichtband des Zeichners Nicolas Mahler »in der isolierzelle«. Kurze, größtenteils aus Hobby- und Technikmagazinen der 30er bis 60er Jahre montierte Texte umkreisen, was der menschliche Forscherdrang alles so verdient, verbrochen oder auch verpasst hat. Es geht um astronautische Frühstückssorgen, Rettung durch Schweinsfische, Retromöbel in Zeitmaschinen und um die Freuden der Atomforschung. Mit gnadenlosem Sprachgefühl legt Mahler Euphemismen und Verstocktheit des Populärwissenschaftsduktus offen. Wer klugen Quatsch an der Grenze zwischen Doof und Philosoph zu schätzen weiß, kaufe also dieses Buch. Allen anderen sei sicherheitshalber schnell mit auf den Weg gegeben, was zum Weltuntergang geschrieben steht. Unauffällig wird er eintreten. Und »in allen sprachen der welt / wird gefragt werden: /wie – und das ist alles?« ||

NICOLAS MAHLER: IN DER ISOLIERZELLE. GEDICHTE
luftschacht, 2017 | 96 Seiten | 15 Euro

Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde

Es ist ein schmales Bändchen, eine Streitschrift, die auf ermutigende Weise die Denkrichtung umkehrt. Denn Ulrike Guérot betrachtet die gespaltenen Gesellschaften in Europa – nationalistische Abschottungstendenzen hier und eine offene, europaaffine Zivilgesellschaft dort – als Chance. Ja, sogar als notwendigen historischen Prozess, der den Weg ebnet für ein neues Europa. »Anstatt also wie die Kaninchen vor der Schlange des Rechtspopulismus zu kauern, sollten die europäischen Bürger […] einen emanzipatorischen Prozess in die Wege leiten, der ein vereintes Europa auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit aller Bürger begründet.« Die Politikwissenschaftlerin Guérot spricht deutlich aus, dass die EU nicht zuletzt deshalb in die Krise geraten sei, weil sie »keine Werte verteidigt, sondern Sicherheit und Geld.« Doch die kritische Analyse ist nicht ihr letztes Wort. Nach einem erhellenden Abschnitt über das Plebiszit und die Frage »Wer ist das Volk?« zeichnet sie einen möglichen Weg für die Neubegründung Europas unter dem Motto »Politics must top Nation!«. Wahlrechtsgleichheit und eine Föderierung Europas mit starker Bügerbeteiligung an regionalen Entscheidungen gehören dazu. Auf nach Europa! ||

ULRIKE GUÉROT: DER NEUE BÜRGERKRIEG. DAS OFFENE EUROPA UND SEINE FEINDE
Ullstein, 2017 | 96 Seiten | 8 Euro

Was ich sonst noch verpasst habe. Stories

Manche dieser Stories treffen einen wie ein Schlag in die Magengrube. In »Mijito« wechseln zwei Erzählperspektiven. Die mexikanische Einwanderin Amelia ist 17, schwanger, ihr Mann im Knast. Sie kann kein Englisch, wird von Verwandten misshandelt und ausgebeutet, will trotzdem ihr Kind kriegen. Die spanischkundige Telefonistin einer Geburtsklinik berichtet von den Begegnungen mit Amelia, die ihre Erlebnisse erzählt. Das ist bis zum tödlichen Ende lakonisch, ohne Pathos und Sentimentalität, aber mit großer Empathie geschrieben. Und geht derart unter die Haut, dass man nach Luft schnappt. Unglaublich, dass eine solche Autorin jahrzehntelang unbeachtet blieb. Die Kurzgeschichten von Lucia Berlin (1936 – 2004) waren die literarische (Wieder-)Entdeckung des letzten Jahres, Kritiker stellen sie in eine Reihe mit den großen amerikanischen Erzählern. Mit 24 veröffentlichte sie ihre ersten Geschichten, dann verstummte sie, schrieb aber weiter. Aus 76 nachgelassenen Erzählungen hat die Übersetzerin Antje Ravíc Strubel jetzt 30 auf Deutsch veröffentlicht. Berlins Leben war rastlos. Der Vater, Bergbauingenieur, zog mit der Familie ständig um, bis nach Chile. Die Mutter trank, Lucia später auch. Sie jobbte in New York, Mexiko, Kalifornien als Putzfrau, Krankenschwester, Lehrerin, war obdachlos oder auf Entzug. Drei Mal geschieden, vier Kinder. Ihr Leben spiegelt sich in den atemberaubenden Stories, oft in Ich-Form: zerrüttete Familien, Drogenmilieu, Alltagsbrutalität im Prekariat. Die kleinen Tragödien spielen in Waschsalons, Cafés, Kliniken. Sie packen den Leser direkt: mit rauem Ton, subtilem Humor und verblüffenden Wendungen. Die Personen kommen einem ergreifend nah und behalten stets ihre Würde. Die Themen sind düster, aber diese wunderbare Autorin macht süchtig. ||

LUCIA BERLIN: WAS ICH SONST NOCH VERPASST HABE. STORIES
Aus dem Englischen von Antje Ravíc Strubel | Arche | 384 Seiten
22,99 Euro

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