Klug reduziert: Mateja Koležnik inszeniert Molières »Tartuffe« im Residenztheater.

Elmire (Sophie von Kessel) im Clinch mit Tartuffe (Philip Dechamps)© Matthias Horn

It’s party time! Damis groovt zu Musik aus dem Off und schmeißt weißes Pulver ins Champagnerglas. Das holt er aus einem hinter Holztüren versteckten Schrank im Zentrum von Raimund Orfeo Voigts Bühne – auf dem breiten Absatz zwischen zwei von links unten nach rechts oben führenden Treppen. Der Rest ist Holz, das plan und clean die Unordnung verdeckt – auch die der wahren Gefühle. Vermutlich dunkler (afrikanischer?) Nussbaum, mindestens großbürgerlich. Davor stecken junge Leute einander im Auf- und Abgehen die Zunge in den Hals. Und die alte Zofe trägt triumphierend einen vollen Sektkühler vorbei.

Der Hausherr Orgon ist weg, die Lust an der Ausschweifung eingezogen. Und sie richtet sich in Mateja Koležniks »Tartuffe«-Inszenierung demonstrativ gegen den Patriarchen und die Prüderie, die der Habenichts Tartuffe über dessen Leben gebracht hat. Orgon vergöttert den frommen Mann, will ihm sogar seine Tochter geben, die einen anderen liebt. Wobei Nora Buzalkas Mariane ihre Leidenschaft so dekorhaft vor sich herträgt wie das christliche Kreuz an ihrer Hüfte und die lächelnd vorgebrachte Drohung, sich das Leben zu nehmen.

Oliver Nägele spielt einen gesundheitlich angekratzten Mann, der auf den letzten Lebensmetern versucht, seine wohlhabende Schäbigkeit mit der Bekanntschaft eines wahrhaft »guten Menschen« zu veredeln. Und fast versteht man ihn, weil Tartuffe, der bei Molière erst im dritten Akt auftritt, hier schon zuvor so schüchtern durchs Treppenhaus huscht, dass der Kontrast zur posenden Mischpoke kaum größer sein könnte. Philip Dechamps macht das mit linkischer Körperspannung und großer Glaubwürdigkeit sowohl im Liebesansinnen an die Hausherrin wie in der Selbstbezichtigung als »bösen« Menschen danach. Er zeigt Molières berechnenden Heuchler und bigotten Frömmler als großes, wurzelloses Kind – vor allem aber als Projektionsfläche für die Vorurteile, den Hochmut und die Gelüste der anderen.

Koležnik hat die Komödie religiös abgespeckt und auf die ganz großen Schenkelklopfer verzichtet. Dafür malt die slowenische Regisseurin ein flächiges, äußerst geschmackvolles Bild in dezenten Farben. Alan Hraniteljs Kostüme schmiegen sich mit ihren Beige-, Braun- und Grautönen eng ans Braun der Bühne und mit ihren Schnürungen und Volants eher lose an die Entstehungszeit des Stückes an, während sparsam eingesetzte Requisiten ihren Teil der Geschichte erzählen. Im Schrank wird Orgon Zeuge der grotesken Körperverknotungen Tartuffes mit seiner eigenen Frau. Und von dort fliegen die gesammelten Familienkleider auf die Bühne, als der Verrätererst verstoßen wird, nachdem der Alte ihm seinen Besitz vermacht hat. Lange lässt Koležnik in dieser Szene das Bild des stummen Tartuffe stehen. Dann kommt der Triumph mit einem Lachen voll schmerzhafter Erkenntnis. Es dauert nur 75 Minuten, bis Orgon mit einem gruseligen Echo dieses Lachens auf dem Gesicht am Fuß der Treppe niedersinkt. Bis dahin hat man einen klug reduzierten, wunderbar zeitlosen »Tartuffe« gesehen, der aber zu hübsch ist, um einen wirklich anzugreifen. ||

TARTUFFE
Residenztheater| 16. Juli, 19 Uhr | 26., 29. Juli, 20 Uhr
Tickets: 089 21851940

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