Großartig: Fassbinders »Angst essen Seele auf« in der Schauburg mit Ahmad Shakib Pouya und Ilona Grandke.
Schmal, verhärmt, schüchtern betritt sie eine Kneipe, in der fremde Männer fremde Musik spielen. Sie sucht Schutz vor Regen. Die Wirtin in roten Highheels beäugt sie mürrisch. Wenn dann Connie Francis »Schöner fremder Mann« singt, animiert sie einen der Männer, mit der komischen Alten zu tanzen. Und die exzellente Schauspielerin Ilona Grandke lässt die Putzfrau Emmi ganz langsam und vorsichtig zu einer nicht mehr gekannten Lebensfreude auftauen. Emmi ist die Hauptperson in »Angst essen Seele auf«, Rainer Werner Fassbinders Film von 1974, dessen Stücktext George Podt als letzte Regie seiner 27-jährigen Intendanz in der Schauburg inszenierte.
Podt zeigt exemplarisch noch einmal seinen Stil: äußerste Reduktion der Mittel und strenge Zeichenhaftigkeit, die den Schauspielern in allem Minimalismus extreme Präzision abverlangt. Die aktuellen politischen Umstände lenken aber den Blick auf den Gastarbeiter Ali (bei Fassbinder aus Marokko, hier aus Afghanistan). Ihn spielt Ahmad Shakib Pouya, dessen Fall Schlagzeilen machte: Der Zahnarzt und Musiker floh aus Kabul vor den Taliban, lebte sechs Jahre mit Duldung in Bayern, arbeitete dank seiner Kenntnis von sechs Sprachen als Übersetzer bei den Anhörungen von Asylbewerbern, engagierte sich in sozialen Initiativen und wirkte zuletzt in zwei Opernaufführungen mit.
Kampf für ein Glück ohne Zukunft
Dennoch sollte er im Januar abgeschoben werden. Kurz vorher reiste er freiwillig aus, nur das gab ihm die Chance auf Wiedereinreise. Als George Podt und seine Frau Dagmar Schmidt das lasen, war ihnen klar: »Wir spielen das Fassbinder-Stück.« Mit Pouya als Ali, obwohl sie ihn gar nicht kannten. Sie und der Orchestermusiker Albert Ginthör, der Pouya nach Kabul begleitete, schafften es in der Rekordzeit von knapp zwei Monaten, Pouya durch einen Künstlervertrag nach Deutschland zurückzuholen. Sein Bleiberecht endet allerdings mit dem Vertrag am 3. August – ohne weitere Engagements droht ihm dann erneut die Abschiebung.
Deshalb galten Medieninteresse und Aufmerksamkeit hauptsächlich ihm. Und George Podt setzt ihn so geschickt in Szene, dass der Unterschied zu den Profischauspielern kaum spürbar wird. Ganz bei sich ist Pouya, wenn er sein Tischharmonium spielt und persische Lieder singt (man spricht Persisch in Afghanistan). Die sanften Berührungen und scheuen Zärtlichkeiten mit Emmi sind ebenso überzeugend wie die zunehmende Entfremdung. Die psychologischen Feinheiten spielt Ilona Grandke: Ihre Emmi hat keine Chance, aber sie nutzt sie. Zunächst resigniert und desillusioniert, verleiht ihr die unerwartete Liebe innere Stärke gegenüber dem Fremdenhass und den Vorurteilen boshafter Nachbarinnen, Kolleginnen und der eigenen Kinder. Sie kämpft für ihr Glück, das keine Zukunft hat: Grandke zeigt mit subtilen Veränderungen in Gestus und Körperspannung das Aufblühen und Verblühen von Hoffnungen.
Pouyas pure Präsenz wird zum Spiegel Emmis.Es braucht kein Bühnenbild und keine Requisiten, nur drei Tischchen und Gartenstühle auf schwarzen Podesten (Ausstattung: Peer Boysen). Überall stehen Schuhe: Wenn Lucca Züchner, Berit Menze und Peter Wolter in ein anderes Paar schlüpfen, wechseln sie die Rolle und die Haltung. Ihre Nebenfiguren bleiben bewusst klischiert und holzschnitthaft. Und das funktioniert genauso einleuchtend wie Connie Francis’ Schlager »Die Liebe ist ein seltsames Spiel« als Leitmotiv. Eine starke Aufführung. ||
ANGST ESSEN SEELE AUF
Schauburg am Elisabethplatz| 3., 19. Juni
19.30 Uhr | Tickets: 089 23337155
theater@schauburg.net
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