Dr. Elisabeth Tworek, die Leiterin der Monacensia, schreibt im Rahmen unserer neuen Reihe über Oskar Maria Graf, der von 1. Juni an im Literaturhaus mit einer Ausstellung gewürdigt wird.
Für Oskar Maria Graf steht der Kampf um die Würde des Menschen im Mittelpunkt seines literarischen und politischen Schaffens. Als Aktivist, vor allem aber als Schriftsteller, tritt er Zeit seines Lebens für Menschen- und Bürgerrechte, gegenseitigen Respekt und Pazifismus ein. Dabei lautet sein Credo: Nur in der Solidarität der Ohnmächtigen und sozial Benachteiligten hat der Einzelne gegenüber den Mächtigen eine Chance. Das gilt für Monarchien, Demokratien und Diktaturen gleichermaßen.
Oskar Maria Graf war ein Mensch der Emotionen: ein Rebell und Empörer, dem als Bub von seinem ältesten Bruder Max »der Glaube an das Menschliche im Menschen herausgeprügelt« wurde. Nach dem Tod des Vaters missbrauchte Max seine Geschwister in der elterlichen Bäckerei als billige Arbeitskräfte und trieb sie durch seine Brutalität und Willkür nach und nach aus dem Elternhaus. Als 66-Jähriger bekennt Graf, dass ihn dieser körperliche Missbrauch fürs Leben zeichnete: »Ich war nie Parteisozialist … Mir ist – um mit Gorki zu reden – mein Sozialismus von Kind an auf den Rücken geprügelt worden! Das hat mich – nicht etwa aus einem inneren Wagnis, sondern gleichsam instinktiv und zwangsläufig – zum Rebellen gemacht.«
»Verbrennt mich!«
»Der Rebell«, so Graf, »handelt nicht nach dem Rezept einer politischen Überzeugung, die ihm von irgendwelchen politischen Ideologien oktroyiert worden ist, sondern einzig und allein aus einer grundmenschlichen Empörung gegen jeden Mißbrauch der Schwächeren durch die Stärkeren, aus der erlittenen Einsicht, daß Unrecht, niederträchtiger Massenbetrug und chauvinistische Völkerverhetzung gemeine Verbrechen sozialer Machthaber sind.« Nüchternes politisches Kalkül oder gar Parteiprogramme bleiben Oskar Maria Graf auch in der Weimarer Republik fremd. Wie er überhaupt ein tiefes Misstrauen gegen alles streng Geregelte wie Hierarchien, Institutionen und Obrigkeiten hegt. Trotzdem ist Oskar Maria Graf politisch äußerst aktiv. Er engagiert sich in der »Nansenhilfe«, die Geld zur Bekämpfung der Hungersnot in der Sowjetunion sammelt, steht dem Münchner Komitee für die Freilassung der unschuldig in
Haft sitzenden Arbeiterführer Sacco und Vanzetti vor, kämpft gegen das Zensurgesetz, ist Mitglied der von den Kommunisten beherrschten Roten Hilfe, unterzeichnet einen Aufruf für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den legendären Arbeiterführer Max Hoelz und gründet mit anderen Kollegen den »Jungmünchner Kulturbund«, der sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Darüber hinaus kämpft er gegen die sogenannte »Fürstenabfindung« und verfasst eine Reihe von politischen Flugblättern und antimilitaristischen Schriften gegen den aufkommenden Nationalsozialismus.
Gleichzeitig baut Oskar Maria Graf mit Büchern wie »Bayrisches Lesebücherl« (1924) und »Bayrisches Dekameron« (1928) systematisch sein Image als tief verwurzelter urwüchsiger weißblauer Kraftmensch aus. Spätestens mit seinem autobiografischen Bekenntnis »Wir sind Gefangene« (1927), das sogleich ins Englische, Französische, Spanische und Russische übersetzt wird, gelingt ihm der Durchbruch zur großen Literatur. In Romanen wie »Bolwieser« (1931) oder »Anton Sittinger« (1937) entwickelt er die Meisterschaft, scheinbar banale Menschenschicksale so zu erzählen, dass in ihnen sich die »große Welt« spiegelt. Als entschiedener Sozialist und Pazifist geht Graf bei Hitlers Machtübernahme ins Exil und verfasst im Mai 1933 seinen legendären Aufruf »Verbrennt mich!«. Die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland treibt ihn über Wien und Brünn nach New York, wo er Hilfsaktionen für europäische Künstler organisiert.
Lesung in der Lederhose – ein Eklat!
Mitautobiografischen Romanen wie »Das Leben meiner Mutter« (1940) und »Unruhe um einen Friedfertigen« (1947) leistet Oskar Maria Graf seinen Beitrag zur Weltliteratur. Dass seine Geschichten dort spielen, wo er aufgewachsen ist und wo er sich am besten auskennt, macht seine Literatur nicht kleiner. Wenn sich Graf in das bäuerliche Leben am Starnberger See hineindenkt, hat er nicht die breit daliegenden, kunstvoll verzierten Bauernhöfe von Aufkirchen und den Starnberger See vor Augen, sondern den River Hudson und die sechsstöckigen Backsteinhäuser von Washington Heights, vollgestopft mit Emigranten aus Deutschland und Österreich. Jahrelang bleibt ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft versagt, weil er sich weigert, einen Eid auf die Vaterlandsverteidigung zu leisten. Fünfundzwanzig Jahre nach seiner Flucht aus Deutschland besucht er 1958 seine Heimat. Bei einer Lesung im Cuvilliés-Theater in München besteht der New Yorker Exilant darauf, in Lederhose und Trachtenjanker aufzutreten, und provoziert damit einen Skandal.
Oskar Maria Graf sieht sich als »Sprachrohr der Unterdrückten«. Seine ganze Sympathie gehört den einfachen Leuten. Für die Mächtigen der Welt zahlen sie die Zeche: ob am Fließband, im Straßenkampf oder an der Front. In seinen Geschichten gibt er ihnen eine eigene Biografie und verleiht ihnen eine Stimme. Er ist einer von ihnen. »Aus dem Gefühl einer sozialen Verantwortung heraus habe ich es immer als meine schriftstellerische Aufgabe betrachtet, die Menschen und Zustände so zu schildern, wie sie wirklich sind. Wer die Wirklichkeit aufhellt und ihr eine unzweideutige Gestalt zu geben vermag, der schafft Erkenntnisse für die Zukunft.« ||
AUSSTELLUNG: OSKAR MARIA GRAF: »WELTBÜRGER UND REBELL«
1. Juni bis 5. November| Literaturhaus| Mo bis Mi u. Fr 11–19 Uhr, Do 11–21.30 Uhr, Sa, So und Feiertage 10–18 Uhr
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