»Miranda Julys Der erste fiese Typ« wird dank Maja Beckmann und Anna Drexler zu einem irren, lebensbejahenden Spaß.

Clee (Anna Drexler (r.) bedrängt Cheryl (Maja Beckmann) | © David Baltzer

Was für ein Abend! Ein älteres Paar in der ersten Reihe der Kammer 1 muss mehrfach Flüssigkeiten von seiner Kleidung wischen und verliert dabei nie die Laune. Und als Flugblätter vor pornographischen Szenen, Gewalt und zu lauter Musik warnen, schaut kaum jemand darauf. Denn es ist ja viel zu viel los auf der Bühne, über der zwei Holzbalken schweben als würde in Kürze ein Dachstuhl errichtet. Stattdessen werden aber nur ein paar gängige Vorstellungen von Liebe eingerissen, und auch ein paar vom theatralen Erzählen.

Noch bevor Maja Beckmann und Anna Drexler so stolz wie verschämt den Titel des Abends »Miranda Julys Der erste fiese Typ« aufsagen, den sie aus ihrem »Lieblingsbuch« »Der erste fiese Typ« von Miranda July gemacht haben, turnen und rangeln die beiden zu den stoischen Kommandos von Brandy Butler. Und es bleibt sportiv, was Christopher Rüping aus den Fetzen eines irren Buches und dem Charme und dem Können seiner Akteurinnen angerührt hat. Mal lesen sie Passagen vom Blatt, mal konfrontieren sie ihr eigenes Leben mit dem, was die alleinstehende Cheryl Glickman im Roman erlebt: Ein 43-jähriger Kontroll-Junkie, der Selbstverteidigungs- als Fitness-Übungen vermarktet, eine Chromatherapie gegen einen dubiosen Kloß im Hals macht und den Mittsechziger Phillip liebt, der sich von ihr seine Beziehung zu einer 16-Jährigen sanktionieren lassen will. Bis die junge Rotzgöre Clee Cheryls Leben vollkommen auf den Kopf stellt.

Den Erstlingsroman der Künstlerin, Filmemacherin und »Meisterin des geistreichen Trosts« (Die Zeit) zählt der Guardian zu den schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Auch wer dem nicht folgt, wird sich der Hingabe schwer entziehen können, mit der die beiden Schauspielerinnen uns und einander die Geschichte erzählen. In der vom Ensemble erstellten Spielfassung finden sie Platz für »private« Sticheleien, blasen einander Fahrtwind ins Gesicht und folgen dem Lustprinzip – etwa wenn Drexel offensichtlich sinnbefreit durch eine Zuschauerreihe marschiert. Das ist albern und mindestens eine halbe Stunde zu lang, aber durchdrungen von einer tiefen Menschlichkeit, die inhaltlich in der späten Bejahung des Kindes kumuliert, das Clee in einer wahren Geburtsschlacht auf die Welt bringt – wonach rotbespritzte Gesichter verkleidete Liebeserklärungen an das Leben in die Live-Kamera sprechen.

»Sei, wie du bist!« ist offenbar eine von Julys Maximen: »Versteck dich nicht!« Und wie sich die Frauen auf der Bühne hier zeigen – Beckmann mit Cheryls Verklemmtheit und in der Identifikation mit Phillips Brunst, Drexel in den hässlichsten Männerrollen und die tolle Soulsängerin Brandy Butler derart eins mit ihrem mächtigen Körper – versteht man sofort, dass die lange skeptische Autorin dieser ironischen, pathetischen und persönlichen Annäherung an ihr Buch nicht widerstehen konnte. ||

MIRANDA JULYS DER ERSTE FIESE TYP
Kammerspiele, Kammer 1| 18., 31. Mai,
7., 14. Juni | 20 Uhr | Tickets: 089 23396600
Theaterkasse@kammerspiele.de

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