1892 zog ein neuer Künstlerverein in den Kampf um die moderne Kunst. Die »Münchner Secession« ist auch nach 125 Jahren noch aktiv und feiert mit Ausstellungen ihre weiter selbstbestimmte Gegenwart und ihre erfrischenden Anfänge.
Landschaften, darauf fällt als erstes der Blick. Das Moor, weiß leuchtend, in dramatischer Wolken- und Lichtstimmung, gemalt von Otto Dill. Daneben Adolf Hölzels herrlich klarer winterlicher Blick über den Fluss in feinster Abstufung der hellen Farben. Dann die sinnenden Bauernmädchen auf dem Feld von Arthur Langhammer. Dachauer Maler, Dachauer Motive – das Übliche also in der Gemäldegalerie Dachau, könnte man meinen. Doch die Sonderausstellung im Obergeschoss wartet auf den zweiten Blick mit Überraschungen auf. Gleich neben dem bäuerlichen Motiv brechen spärlichst bekleidete Frauen unter Bäumen am Ufer hervor. Ein nackter Mann hat sie wohl in Panik versetzt. Der Titel »Nausikaa« verrät: Es ist Odysseus, auf den die Königstochter und ihre Dienerinnen getroffen sind. Langhammer hat diese homerische Szene gemalt, derb-fleischlich, man denkt an Lovis Corinth. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl aus den Beständen der Sammlung, die der 1892 gegründete Künstlerverein Münchener Secession zusammengetragen hat. Und erinnert damit an die Geburtsstunde der Moderne in München.
In der Kunststadt herrschte damals die über 1000 Mitglieder umfassende Münchener Künstler-genossenschaft, die die staatliche Kulturpolitik repräsentierte, regiert vom konservativen
Künstlerfürsten Franz von Lenbach. Der hatte schon Wilhelm Leibl aus der Stadt getrieben. Es ging um die Kunst – und um Geld. Der Streit entzündete sich an der Jahresausstellung im Glaspalast, der wichtigsten Verkaufs- und Repräsentationsschau. Dort war um 1890, neben den prominent platzierten
Großkopferten, in überfüllter Hängung vieles und vor allem viel Mittelmäßiges zu sehen, und drei Fünftel der Mitglieder kamen sowieso nicht zum Zug.
»Im Fortschritt allein ist lebendige Kunst.«
Das genossenschaftliche Prinzip des gleichen Rechts für alle hatte sich so erledigt, und dass die »ausländische« Kunst – also die modernen Strömungen des Naturalismus, Impressionismus und Symbolismus in ganz Europa – ausgeschlossen wurde, wollten elf wohlbestallte Professoren und aufstrebende Meister nicht mehr hinnehmen, darunter Fritz von Uhde, Heinrich Zügel, Franz Stuck und Ludwig Dill. Der verfasste 1892 den Aufruf, der zur Gründung der neuen Vereinigung führte und erstmals den Namen »Secession« in den Kampf um die Moderne warf. »Im Fortschritt allein ist lebendige Kunst.« Hölzel und Langhammer zählten zu den 100 Gründungsmitgliedern, ebenso Lovis Corinth, Max Liebermann, der Designer Peter Behrens, und Franz Stuck gestaltete das Signet des Vereins – die behelmte Athena – und das Plakat der ersten Ausstellung 1893 im eigenen Pavillon. Man schuf so der »verjüngten, Licht und Luft athmenden Kunst« erstmals lichte, moderne Präsentationsbedingungen. Die Secession wollte Talente fördern und die internationale Elite zeigen. Und setzte – bis heute – auf die freie künstlerische Selbstbestimmung ihrer Mitglieder.
In der von der Dachauer Museumsleiterin Elisabeth Boser kuratierten Jubiläumsschau findet sich deshalb keine identifizierbare Zeitströmung, kein Stil. Denn gerade die Vielfalt zeichnete diese erste moderne deutsche Künstlervereinigung aus. Freilich ist auch die Sammlung des Vereins, die 1905 begonnen wurde und auch heute fortgeführt wird (und im Lenbachhaus deponiert ist), durchaus heterogen. Wir begegnen einem sehr dunklen Waldstück, hinter dem spätes Licht schimmert, und entdecken darin zwei Pferde: ein Ölbild von Stuck! Repräsentativ dagegen für das Œuvre ihres Schöpfers sind zwei Szenen von Albert von
Keller, eine »Hexenverbrennung« und eine mystisch überhöhte, im Kerzenlicht aufgebahrte Nonne.
Der Durchbruch der Natur
Ihr 125-Jahre-Jubiläum feiert die Secession, die aktuell 73 aktive Mitglieder hat, mit mehreren Stationen. Im Sommer folgt in München »Sezession jetzt« mit einer aktuellen Auswahl von Positionen in der Rathausgalerie Kunsthalle (1. Juli bis 10. September), in den Räumen des Vereins für Originalradierung (Ludwigstraße 7 Rgb.) wird ein grafisches Spektrum der Zeitgenossen zu sehen sein (9. bis 30. Juni), das Lenbachhaus hat gerade in seine Neupräsentation des 19. Jahrhunderts interessante Werke aus der Secessions-Sammlung integriert. Und in Dachau wird am 12. Mai in der Neuen Galerie »Natur // Kultur« eröffnet (bis 16. Juli), die das Verhältnis zur Natur mit malerischen und skulpturalen Arbeiten befragt: von der auf Hölzel zurückverweisenden flächig-atmosphärischen Malerei Christoph Drexlers bis zu den Hackklötzen des Berliner Totalkünstlers Timm Ulrichs, der auch Secessions-Mitglied ist.
Die Naturschilderung war zu Lenbachs Zeiten in der offiziellen Hierarchie noch deutlich unter dem religiösen oder mythologischen Motiv und dem Historiengemälde angesiedelt – als zwar bei Käufern beliebtes, aber niederes Genre wie das Stillleben oder Tierstück. Diese Kunst der Atmosphäre ist ein
dann vielleicht doch verbindender Faden in der Sonderschau der Gemäldegalerie: Viele Dachauer Künstler, denn die Künstlerkolonie lädt zu so einem Heimspiel ja ein. Viele Szenen im Freien, im Grünen, am Wasser: Ein sonnenverbranntes Selbstbildnis von Ernst Burmester im Schilf. Bei Christian Landenberger waten und staksen zwei magere Buben am Ufer. Im Baumschatten arbeitet »Die Malerin« von Julius Seyler an einem Mädchenbild, vielleicht mit ähnlich dynamischem Pinselduktus. Kühn skizziert auch das »Mädchen am Wasser« von Fritz Strobentz, das nach einem Halm greift. Genauso schön ist das schmutzfarbene, wie matschig, aber souverän hingeworfene »Eisschießen« im Schnee des Dachauers Hans von Hayek. Die braunen Hügel wissen, dass es bald Frühling wird. ||
ZU GAST IN DACHAU.
125 JAHRE MÜNCHENER SECESSION
Gemäldegalerie Dachau | Konrad-Adenauer-Str. 3, 85221 Dachau
bis 3. September | Di–Fr 11–17 Uhr, Sa/So/Feiertag 13–17 Uhr
Der Katalog »125 Jahre Münchener Secession« kostet 20 Euro
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