Jordan Peeles Regiedebüt »Get Out« ist ein entfesselter Horrorthriller jenseits jeglicher politischer Korrektheit. Mit bissigem Humor und sensationellem Timing ist er auch der Kommentar zur Stunde eines sich hartnäckig haltenden Rassismus in den USA.
Die Farbpalette von Neonazis ist bekanntlich etwas unterkomplex, das sprichwörtliche Schwarz-Weiß-Denken bestimmt ihr gesamtes Sein. Nur konsequent, dass nun in den USA tatsächlich Milch das neue Lieblingsgetränk der Alt-Right-Bewegung und White Supremacists ist. Mit Moloko Plus haben sich schließlich schon die Schläger in »Clockwork Orange« umgenietet. Vor diesem Hintergrund sticht eine Szene in Jordan Peeles bissigem Sozialthriller »Get Out« besonders hervor: Bei einem Familienbesuch knabbert die Mittzwanzigerin Rose ihre farbenfrohen Fruit Loops und trinkt dazu genüsslich ein Glas Milch – bunt undweiß schön getrennt, nicht wild durcheinander wie in der Müslischüssel. Beim Dreh konnte Peele die kulinarische Umdeutung noch nicht ahnen, doch zeigt diese Szene sein Gespür für sozialpolitische Strömungen in den USA.
Mit seinem Regiedebüt entlarvt er zugleich gewitzt die Auswüchse des neoliberalen Rassismus. Abseits ausbeuterischer Betroffenheitsstorys und kaum verbreiteter Arthouse-Filme sprengt er mit einem wilden Genremix die normierten Hollywood-Vorstellungen vom Black Cinema. Kurz zuvor hatte Rose noch versucht, ihren neuen Freund Chris zu beruhigen, denn der Besuch daheim soll sein erstes Treffen mit ihrer Familie werden. Sie hat jedoch ihren Eltern nicht erzählt, dass Chris Afroamerikaner ist. Muss man im postrassistischen Zeitalter ja auch nicht. Oder doch? Chris jedoch schwant Unheil. Aus Erfahrung weiß er, dass er seine Hautfarbe immer und überall mitdenken muss, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.
Zwischen Lachen und Entsetzen
Roses Eltern zeigen sich jedoch von ihrer politisch korrektesten Seite und anstelle unterschwelliger Ressentiments schlägt Chris zunächst eine überschwängliche Welle aus Toleranz entgegen. »Wäre es möglich gewesen, hätte ich Obama auch ein drittes Mal gewählt«, strahlt Vater Dean und zeigt ihm stolz Fotos vom Großvater, der bei den Olympischen Spielen 1936 gegen Jesse Owens verlor und deshalb lieber schwarz gewesen wäre. Reisesouvenirs aus dem Ausland, ein vermeintliches Zeichen seiner Offenheit, hinterlassen aufgereiht neben den Jagdtrophäen jedoch ein Gefühl der Beklemmung. Chris ist unsicher, ob er seiner inhärenten Paranoia aufsitzt oder tatsächlich Angst haben sollte. Zu viel und zu beiläufig wird über Hautfarben gesprochen.
Bei einem Gartenfest verhält sich der einzige andere Nicht-Weiße wie ein Roboter. Lediglich ein Fotoblitz scheint ihn für einen kurzen Moment aus seiner Trance zu wecken, und er brüllt Chris »Get out!« entgegen. Warum Roses Mutter Missy Chris unbedingt hypnotisiseren und vom Rauchen entwöhnen will, wird ihm zu spät klar – da ist er selbst schon beim unangenehm metallischen Löffelklingeln beim Umrühren von Tee in Trance verfallen.
Was folgt, ist ein entfesselter, hypnotischer Thriller jenseits jeglicher politischer Korrektheit. Peele treibt die »black experience« auf die Spitze, dieses latente Unbehagen in einer von Weißen dominierten und von Freundlichkeit und Korrektheit betäubten Gesellschaft. In einem bizarren Versuch der kulturellen Aneignung soll sie Chris gar entrissen werden. In einem Spannungsfeld irgendwo zwischen Ira Levins roboterhaften »Stepford Wives«, der bedrohlich-dämonischen Atmosphäre von »Rosemary’s Baby« und Spike Jonze’ absurd übergriffiger Gedankengeiselnahme »Being John Malkovich« kämpft Chris gegen die Fänge des in aberwitzige Gewalt umschlagenden positiven Rassismus der Gastfamilie an. Der Zuschauer bleibt in einem lange im Kino nicht mehr da gewesenen Rausch aus echtem Entsetzen, nervenzehrender Spannung und lautem Auflachen zurück. ||
GET OUT
USA 2016 | Regie: Jordan Peele | Mit: Daniel Kaluuya, Alison Williams, Catherine Keener u.a.
104 Minuten | Ab 4. Mai im Kino
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