Das 32. DOK.fest widmet sich dem Brennpunkt Europa und tariert damit auch das Spannungsverhältnis zwischen Dokumentarfilm und Journalismus neu aus.

© Zero One Film / Stiftung Musem Schloss Moyland / Erich Puls und Klaus Lamberty

Von jeher muss sich der Dokumentarfilm gegenüber zwei Richtungen rechtfertigen. Der Journalismus schilt ihn für seinen sentimentalisierenden Umgang mit Faktizität, der Spielfilm besteht darauf, dass die Fiktion sowieso immer alles besser wisse. Dennoch, nach einem Jahr mit Brexit, AfD und nun mit Trump scheinen die Vorzeichen verändert. Der Journalismus hat seine semantische Hoheit an den Populismus verloren und versucht sich verzweifelt als Fact-Checking-Dienstleistung zu reetablieren. Und der Spielfilm reagiert mit Retrofiktion à la »La La Land«. Relevantes Kino, das hat auch eine enttäuschende Berlinale gezeigt, kommt derzeit aus dem Dokumentarfilm.

Die Fokusreihe auf dem diesjährigen DOK.fest München läuft unter dem Titel DOK.euro.vision. Um Europa soll es gehen, um seine Bewohner, um seine Zukunft, so Daniel Sponsel, künstlerischer Leiter des DOK.fests. Diese Gewichtung liegt gesellschaftspolitisch nahe, soll aber auch das einzigartige Potenzial des Mediums unterstreichen. So habe man sich mit »Brexitania« oder »Auf dünnem Eis – die Asylentscheider« bewusst für Filme entschieden, die nicht vorab Partei ergreifen, sondern das Handeln der Protagonisten, etwa von Asylbewerbern und deren Antragsbearbeitern, in narrative Kontraste setzen. Die jeweiligen Problembezirke sollen eben nicht erklärt, sondern in der Mannigfaltigkeit ihrer Perspektiven erzählt werden. Gerade dieses Erzählen ist Sponsel wichtig. Entgegen dem geläufigen Missverständnis, dass der Dokumentarfilm informativ sein müsse, betont er immer wieder die Kraft des narrativen Elementes. »Die Dokumentarfilme in unserem Programm stehen nie für eine absolute Wahrheit, sondern für eine in positivem Sinne gefühlte Wahrheit. Was bedeutet, dass durch Empathie und Teilhabe an gesellschaftlichen Situationen eine Meinung und Haltung generiert werden kann. In diesen Punkten kommt der Dokumentarfilm als narratives Medium weiter als der Journalismus.«

Subjektiv? Objektiv?

Diese Stärke wird gerade im Kontext des in Europa erstarkenden Populismus und der damit verbundenen Fake-News-Debatte bedeutend. »Die Herausforderung beim Journalismus ist, dass der Anspruch, objektiv oder faktisch korrekt sein zu müssen, oft gar nicht zu leisten ist. Insofern war die Frage nach der Wahrheit im Journalismus schon immer eine Grauzone. Die Grundfrage, was ist Faktum, was Meinung, ist mit dem neuen Tempo der Medien noch problematischer geworden.«, so Sponsel. Dies ist besonders prekär, als der Populismus weniger mit Fakten als mit Erzählungen operiert. Mit seiner primär narrativen Ausrichtung könne der Dokumentarfilm hier hingegen Paroli bieten. »Im Dokumentarfilm ist diese Grauzone zwischen Objektivität und Subjektivität, zwischen Abbildung und Interpretation schon immer eine gewesen, die man betreten darf.«

Dennoch sieht Sponsel keine Demarkationslinie zwischen Journalismus und Dokfilm. Umgekehrt wolle man mit der diesjährigen Retrospektive zu Georg Stefan Troller zeigen, wie fruchtbar beide Disziplinen aufeinander wirken können. Troller, der ewige Grenzgänger zwischen Fernsehjournalismus und Dokumentarfilm, der sich seiner Methode wegen selbst einmal einen Menschenfresser nannte, sei ja gerade zu Beginn seiner Karriere extrem umstritten gewesen. »Seine Dokumentarfilme und Reportagen leben von seiner Meinung und Haltung. Das ist im eigentlichen Sinne nicht journalistisch, sondern radikaler Subjektivismus.«, erklärt der Festivalleiter.

Neues aus Mexiko

Gleichzeitig will Sponsel den Dokumentarfilm nicht auf Themenfilme allein reduziert wissen. Bei der Programmgestaltung sei immer auch entscheidend, dass die cineastische Seite nicht zu kurz kommt. In der Kombination dieser beiden Aspekte besonders hervorgetan hätten sich dabei zuletzt Filme aus Mexiko, dem diesjährigen Gastland des DOKfests. Der mexikanische Dokfilm habe sich im Schatten der großen Spielfilmregisseure wie Alejandro González Iñárritu (»Birdman«) in den letzten Jahren erstaunlich entwickelt. Dabei war es Samay Claro, die zusammen mit ihrem Team die Reihe kuratiert, wichtig, auch den mexikanischen Dokumentarfilm in seiner ganzen Bandbreite zu präsentieren. »Natürlich spielen Themen wie Drogenhandel, Korruption oder Trumps Mauer eine Rolle, sie sollen aber nicht der Schwerpunkt der Reihe sein.« Konkret konzentriere man sich deshalb auf starke Porträts wie »El hombre que vio demasiado«. Der Film erzählt die Geschichte des 80-jährigen Enrique Metinedes, der von Kindesbeinen an tödliche Unfälle, Morde und andere extreme Szenerien für die Boulevardpresse fotografierte, dessen schockierende Aufnahmen aber darüber hinaus für ihre besondere künstlerisch ästhetische Qualität berühmt wurden.

Trotz der positiven Entwicklungen im Dokumentarfilm bleibt es nach wie vor schwierig, ein breites Publikum in die Kinos zu locken. Sponsel erklärt, dass man deshalb seit einigen Jahren die Bewerbungsstrategie verändert habe: »Wir setzen auch auf themenspezifische Zielgruppenarbeit, damit wir nicht nur das kultur- oder dokumentarfilmaffine Publikum erreichen.« Auch versuche man, durch Sonderspielstätten eine besondere Wertigkeit zu erwirken. »Ein besonderes Highlight ist der Beuys-Film von Andres Veiel, den wir noch vor dem Kinostart in der Pinakothek der Moderne zeigen werden.« Mit solchen Aktionen hofft Festivalleiter Sponsel dieses Jahr erstmals die 40000-Besucher-Marke zu knacken. Das mittelfristige Ziel laute, das DOK.fest München zum größten Dokumentarfilmfestival in Deutschland zu machen. Dahinter stecke aber kein Wettbewerbsgedanke, sondern der Wunsch, noch mehr Premieren und große Namen für das Festival zu gewinnen. »Auch für Leute wie Joshua Oppenheimer (»The Act of Killing«) wäre München ein großartiger Premierenstandort, weil diese Filme hier sehr gut funktionieren.« ||

DOK.FEST MÜNCHEN
3.–14. Mai | verschiedene Spielorte | vollständiges Programm und Spielzeiten

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