In ihrer Soloperformance »SHAME« denkt Marie Golüke im Rationaltheater über ein ungemütliches Gefühl nach.
»Schäm dich!« »Schämst du dich nicht?« – Solche Sätze haben die meisten in ihrer Kindheit mal gehört. Aber warum eigentlich? Warum soll man sich schämen, und was ist so schlimm daran, wenn zum Beispiel ein Mädchen sich breitbeinig hinsetzt? Marie Golüke wollte das als Kind immer wissen und bekam keine guten Antworten darauf. Bei ihr hat das allerdings nicht zu Komplexen, sondern zu einer offensiven Lust am Fragen und einem unerschrockenen Interesse an der Präsenz der eigenen Physis geführt.
Gleich zu Beginn ihrer neuen Soloperformance »SHAME« lässt sie das enge Gefühl von damals noch einmal in den Körper kriechen. Nicht von vornherein nackt – denn Nacktheit funktioniert manchmal wie ein Kostüm –, aber nur mit einem dünnen weißen Overall bekleidet, nimmt sie auf der kleinen Bühne des Rationaltheaters dicht vor dem Publikum Posen der Erniedrigung ein. Den Körper gekrümmt, den Kopf gesenkt, die Arme um die Schultern geklammert, nicht ohne sich zwischendurch mit einem tiefen Atemzug kurz aufzurichten oder beim In-der-Ecke-Stehen genüsslich den Hintern rauszustrecken, während flackernde Videobilder zwischendurch tiefe Einblicke in einen weiblichen Akt zeigen. Ist das nun schamlos oder schamfrei? – Die Frage stellt sie später selbst, nachdem sie auch noch gesellschaftlich tabuisierte Gesten, wie das Zeigen mit dem Finger oder den Hitlergruß mit Momenten intimer Körperlichkeit zu einer choreografischen Wiederholungsschleife verflochten hat.
Nach dieser eindringlichen stummen Konfrontation bricht Golüke, die Wangen jetzt schamrot geschminkt, das Schweigen mit dem Singen eines Kinderlieds – früher hat sie das große Überwindung gekostet – und leitet so zum diskursiven Teil über, in dem sie frei über ihre Gedanken bei der Recherche spricht. Dass der Abend dann nach längerer Einspielung einer Umfrage zum Titelthema in eine Diskussion mit dem Publikum mündet, ist einerseits charmant, nimmt ihm jedoch auch etwas von der Intensität der unmittelbaren physischen Bearbeitung. Immerhin gelingt es Golüke mit unbefangenen Fragen, die Zuschauer ins Gespräch zu ziehen. Ein bisschen fühlt man sich da wie im Uni-Seminar, wobei etwas mehr theoretischer Unterbau nicht geschadet hätte, aber schämen muss sich hier niemand und das Lernziel bleibt zum Glück offen. ||
SHAME
Rationaltheater| Hesseloherstr. 18 | 26., 27., 28. April| 20 Uhr
Tickets: 089 335003 | ticket@rationaltheater.de
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