Jurist und Autor Georg M. Oswald über sprachliche Präzision, Zukunftssorgen und seinen neuen Roman.

Georg M. Oswald | © Peter von Felbert

Anwalt, Schriftsteller, Verleger: Georg M. Oswald hat es in drei Berufen zu Erfolg gebracht. Der gebürtige Münchner wuchs in Weßling auf, studierte Jura und arbeitet seit 1994 als Rechtsanwalt. Mit Unterbrechungen, denn Oswald schrieb zwischendurch Romane, Erzählungen, Essays und Kolumnen. Zudem leitete er von 2013 bis 2016 den Berlin Verlag. Sein erfolgreichstes Buch »Alles was zählt« (2010) wurde mit dem International Prize ausgezeichnet und in zehn Sprachen übersetzt. Für seinen sechsten Roman hat sich der 53-Jährige fünf Jahre Zeit gelassen – in »Alle, die du liebst« schildert er den Absturz eines erfolgreichen Anwalts.

Sie haben sich immer vor allem als Autor betrachtet. Warum haben Sie dann überhaupt Jura studiert?
Ich war unglaublich fasziniert von der Sprache der Juristen, wie sie sich ausdrückten, wie sie den Konjunktiv einsetzten. Es reizte mich, diese Form als literarisches Mittel zu verwenden, so wie ich es später tatsächlich in meinem Roman »Lichtenbergs Fall« getan habe. Er ist im Stil eines juristischen Protokolls geschrieben. Das Jurastudium war für mich kein Widerspruch zum Wunsch, Autor zu werden. Es gibt ohnehin eine Art natürlicher Nähe zwischen den beiden Feldern Jura und Literatur.

Wie meinen Sie das?
Zunächst einmal ist da die Sprache: das Fach Jura hat eine starke Nähe zu ihr – die Sprache bedeutet alles im Studium und der Arbeit. Hinzu kommt: Jemand, der sich für Menschen und die Interaktion zwischen Menschen inter essiert, landet schnell bei Jura oder Literatur, und letztlich finden sich unglaublich viele juristische Fragen und Konflikte in der Literatur. Die Anwaltssprache gilt nicht gerade als literarisch oder kreativ. Aber das stimmt in dieser Pauschalität gar nicht! Ich habe schon viel Spott für meine Behauptung geerntet, dass gut geschriebene Gerichtsurteile sprachlich hochinteressant sind, weil sie ein großes Maß an sprachlicher Präzision zeigen. Stattdessen hält sich unter Nichtjuristen hartnäckig das Klischee, Anwälte würden die Sprache verhunzen.

Passiert dies denn nicht?
Doch, selbstverständlich. Ich gebe auch gerne zu: Gut geschriebene juristische Texte sind eher die Ausnahme, nicht die Regel. Es gibt zahlreiche Anwaltsschriftsätze, die man liest und denkt: Du meine Güte, das ist ja nicht auszuhalten! Die sind trocken, spröde und weltfremd. Das gilt allerdings auch für literarische Texte, wenn man ehrlich ist. Dagegen anzuschreiben und es besser zu machen, das ist das Wagnis, auf das man sich immer einlassen muss, ob als Autor oder Anwalt.

Spüren Sie bei Ihrer Arbeit als Autor und Verleger Ihren juristischen Ansatz?
Das kommt manchmal vor, ja. Ich interessiere mich schnell für Gesetzmäßigkeiten, versuche herauszufinden, was die Prinzipien und Strukturen von Sachverhalten sind, wo Zusammenhänge liegen. In der Literatur besteht natürlich die Gefahr, dass man dogmatisch wird, wenn man so an Texte herangeht. Aber bis zu einem gewissen Punkt ist es schon interessant zu analysieren, wie sich Texte erklären, wie sich bestimmte Erzählformen herausgebildet haben und warum wir unsere Geschichten meist in drei Akten erzählt bekommen wollen. Im Vergleich ist allerdings ganz klar: der juristische Sprachapparat folgt wesentlich strengeren Regeln als der literarische Betrieb.

Schreiben Sie anders seit Ihrer Zeit als Verleger?
Ja. Ich habe mehr Zutrauen in meine eigenen Projekte bekommen. Mein Blick ist nicht mehr ganz so selbstzweiflerisch wie früher. Weil ich als Verleger gesehen und erlebt habe, wie unglaublich viele verschiedene Ansätze ein Text haben kann, wie vielfältig die Erzählperspektiven sind und vor allem: wie wenig all dies über richtig oder falsch aussagt. Natürlich gibt es Qualitätsunterschiede, aber jenseits davon kann man fast sagen: Anything goes. Das gefällt mir, und es beruhigt mich. Denn die ästhetischen Debatten und Regularien sind immer weniger fruchtbar.

Die Hauptfigur Ihres neuen Romans ist ein erfolgreicher Anwalt, dessen bisheriges Lebensmodell scheitert.
Ich wollte wissen, was passiert, wenn er von der Sicherheit in die Unsicherheit rutscht. Hartmut Wilke ist ein Mann, der es gewohnt ist, seine eigenen Lebensumstände zu bestimmen. Doch wie reagiert er, wenn ihm die Konventionen, die sein Leben absichern, abhandenkommen? Seine Frau droht ihm einen Scheidungskrieg an, er muss seine Kanzlei verlassen, und auf der Reise zu seinem Sohn nach Afrika wird er in eine völlig andere Welt gestoßen. Mit seinem Verständnis von Recht und Gerechtigkeit kommt Wilke dort nicht mehr weiter.

Waren Sie selbst in einer ähnlichen Situation?
Nein, nicht in diesem Ausmaß. Bei mehreren Aufenthalten in Afrika habe ich allerdings gemerkt, dass ich sehr lange brauchte, um auch nur ansatzweise zu begreifen, in welchen Verhältnissen die Menschen dort lebten. Gewalt, Korruption und Willkür sind oft alltäglich, und der Umgang damit entspricht in keinster Weise unseren Gewohnheiten. Mein Schwager hat viele Jahre als Entwicklungshelfer in Mosambik gearbeitet – von ihm habe ich viele Eindrücke übernommen. Meine Hauptfigur Wilke reagiert auf dieses vermeintliche Chaos hilflos und wütend, doch er muss einen Weg finden, damit umzugehen. Das ist die Aufgabe, die ich ihm stelle.

Indirekt erzählen Sie damit auch etwas über unsere Gesellschaft.
Auf jeden Fall. Denn wir leben zunehmend in einer Welt, in der wir unsere Sicht der Dinge nicht mehr als selbstverständlich betrachten können. Diese Entwicklung verunsichert viele Menschen. Wilkes Afrika-Abenteuer schien mir dafür eine gute Metapher zu sein.

Besorgt Sie die aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklung?
Ich finde es überhaupt nicht notwendig, mit Angst zu reagieren. Man muss sich natürlich irgendwie damit vertraut machen, dass die Welt nicht stehen bleibt, aber das war schon immer so. In meinem Leben waren die einschneidendsten politischen Erlebnisse und Zäsuren der deutsche Herbst 1977, die Wiedervereinigung und der 11. September. Jetzt habe ich wieder das Gefühl, dass wir an einem entscheidenden Punkt sind, vor einer erneuten Zäsur stehen. Aber was heißt das schon? Eigentlich nur, dass sich die Welt verändert.

Sie klingen ziemlich cool.
Nun, wir leben in einem der sichersten und wohlhabendsten Länder der Welt. Für solche Aussagen wird man heutzutage schon fast gesteinigt, aber ich finde, man sollte realistisch bleiben. Natürlich ist es wichtig, sich zu fragen, wie man unsere Standards aufrechterhalten und gut weiterleben kann, aber dazu muss man keine apokalyptischen Visionen entwickeln.

Wohin führt es, wenn sich viele Deutsche stark um ihre Zukunft sorgen?
Ich glaube, dass diese Sorgenmacherei sogar eine große Stärke unserer Kultur ist. Deswegen sind wir nämlich erstaunlich oft gut vorbereitet und abgesichert, im Privaten und Gesellschaftlichen. Andererseits ist das Zweifeln auch eine Bürde, es quält einen. Auch mich, obwohl ich gerne sehr pragmatisch argumentiere. Perverserweise macht es mir auch großen Spaß, über Sorgen zu schreiben – mein neuer Roman ist das beste Beispiel dafür. Ich versuche allerdings, das in einem bestimmten Rahmen zu halten. Sorgen sind nur so beunruhigend, wie man sie sich selber macht. Bedeutet Trumps Präsidentschaft das Ende der Welt? Nein, warum sollte es? Das Ende kommt, wenn es da ist. Aber bis dahin ist es klüger, unaufgeregt mit den Herausforderungen umzugehen, die da sind. ||

GEORG M. OSWALD: ALLE, DIE DU LIEBST
Piper, 2017 | 208 Seiten | 18 Euro

Autorenlesung
Moderation: Felicitas von Lovenberg
11. Mai | Buchhandlung Lehmkuhl | 20 Uhr

 


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