Residenzgäste in der Tanztendenz: Die Stuttgarterin Eva Baumann lässt den Körper musizieren. Der Münchner Brasilianer Mario Lopes und Martín Lanz aus Mexiko City erforschen das Konfliktpotenzial andersartiger Körper in der Gesellschaft.

Choreografisch-historische Kammermusik: Eva Baumann (rechts) und die Violinistin Biliana
Voutchkova in »herstory I« | © Kiên Hoàng Lê

Vor 30 Jahren hat sich die Tanztendenz gegründet, um Produktions- und Auftrittsmöglichkeiten, Probenräume, Gelegenheit zum Austausch und alles, was Tanzende für ihre Arbeit benötigen, zu schaffen. Seither hat die Vereinigung freier Choreografinnen und Choreografen immer auch wieder neue und interessante Präsentations- und Vernetzungsformate entwickelt, wie zum Beispiel das Gästeatelier »STANDPUNKT.e«. Und pflegt in ihren Räumen im Dachgeschoß des Lindwurmhofes die Gastfreundschaft für Nichtmitglieder wie für den Nachwuchs, lädt von außen Kollegen zu Residenzen ein.

Im Jubiläumsjahr hat es die Programmierung gefügt, dass zwei völlig unterschiedliche künstlerische Positionen aufeinander folgen, wenn auch beide ein Aspekt verbindet: die Kombination von Tanz und Musik. Und beide befassen sich mit kulturell oder sozial aus dem Blickfeld verdrängten Menschen.Die Stuttgarter Tänzerin und Choreografin Eva Baumann interessiert sich für Geschichtliches und hat zuletzt ein Projekt zu Oskar Schlemmer realisiert. Nun folgt sie den Spuren vergessener Künstlerinnen. Wohl weil man das nicht an einem Abend abhandeln kann, plant sie eine Trilogie unter dem Titel »herstory«.

Der erste Teil, gemeinsam mit der Violonistin Biliana Voutchkova erarbeitet, feiert am 23. Mai im Theaterhaus Stuttgart Premiere, und in München kann man am 12. April einen Schritt auf dem Weg dorthin erleben. Und dabei musikhistorische und klangliche Entdeckungen machen. In diesem gleichsam kammermusikalischen Abend – mit diversen Kompositionen für Violine solo aus der Zeit von 1850 bis 1950 – untersucht Baumann zugleich das Verhältnis von Musizieren und Tanzen. Und choreografiert die Einschränkungen, welche Kleidung, Perücke, Haltung und Geschlechterstereotypen den Menschen auferlegten, gleich mit. Denn Frauen gestikulieren und geigen nicht, so urteilte man lange.

Eine finstere Geschichte erzählt Mario Lopes in »Movimento I, parado é suspeito« © Lara Carvalho

Mario Lopes hat eine andere, dunkle Geschichte im Kopf, die spielt – seit langem – in der Gegenwart. Jährlich sterben in Brasilien 30 000 Jugendliche, drei Viertel davon sind Afrobrasilianer und die meisten unter ihnen fallen Schusswaffen zum Opfer. Und für die Polizei ist zuallererst der Schwarze verdächtig, schuldig. Lopes wurde in São Paulo geboren, lebt in München und arbeitet als Choreograf und Schauspieler. Am 20. Mai präsentiert er »Movimento I, parado é suspeito« im HochX. Wer vorab wissen will, wie er diese finstere Geschichte tänzerisch und mit Perkussion erzählt, kann am 7. Mai bei seinem Workshop – mit Live-Musik – in der Tanztendenz (Anmeldung: produktion.plataforma.plus@gmail.com) die »técnica salivar« kennenlernen, mit der traumatische Erlebnisse und innere Blockaden aus dem Körper wie Speichel abgesondert und zu Klängen weiterentwickelt werden, und die Methode des »descriar«, eine Art Dekonstruktion des trainierten Körpers mit dem Ziel der Entdeckung neuer Bewegungen.

Am 11. Mai präsentiert Mario Lopes dort auch ein Showing, zusammen mit dem in Mexiko-Stadt lebenden Martín Lanz. Beide erarbeiten zusammen »ALBUM kodex_feedback« (Premiere: 18./19. Mai), eine Performance, die sich in zwei Teilen mit den Reaktionen unserer Gesellschaften auf neue, fremde Körper beschäftigt. Wo, wie und warum entsteht Konfliktpotential, fragen die beiden. Und wie orientiert sich der fremde Körper in einer neuen Umgebung? ||

SHOWING EVA BAUMANN | 12. April | 18 Uhr ||
WORKSHOP MARIO LOPES | 7. Mai | 14–18 Uhr ||
SHOWING MARTÍN LANZ + MARIO LOPES | 11. Mai
19 Uhr || Tanzdendenz| Lindwurmstr. 88

MARTÍN LANZ UND MARIO LOPES:
ALBUM KODEX_FEEDBACK | 18./19. Mai| 20 Uhr ||
MARIO LOPES: MOVIMENTO I, PARADO É SUSPEITO
20. Mai | 20 Uhr || HochX | Entenbachstr. 37

 


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