Der polnische Regisseur Aureliusz Őmigiel erzählt in Rainer Werner Fassbinders »In einem Jahr mit 13 Monden« eine Passionsgeschichte.

Aus Liebe wird Erwin (Thomas Loibl) zu Elvira. Umsonst.
© Andreas Pohlmann

Es geht nicht gut los für Elvira. Dass sie sich vor einem geifernden Mob in Sicherheit bringen muss, wäre vielleicht noch auszuhalten gewesen. Aber die Kälte von Christoph schneidet ihr wie dem Zuschauer gleich zu Beginn in die Seele: Philip Dechamps lässt eine Verachtung aus ihm sprechen, die kein Fünkchen Wut mehr wärmt. Umso grausamer, dass der erfolglose Schauspieler, für den Elvira auf den Strich gegangen ist, mit dieser Verachtung Dinge sagt, die Rainer Werner Fassbinder vielleicht auch seinem Lebensgefährten Armin Meier an den Kopf geworfen hat: »Fettes, ekelhaftes, überflüssiges Stück Fleisch!« Worte, die Menschen zu Dingen degradieren; gerade noch recht, um sie kaputt zu treten.

Den Film »In einem Jahr mit 13 Monden« hat Fassbinder 1978 nur kurze Zeit nach Meiers Selbstmord gedreht. Nun hat der polnische Regisseur Aureliusz Śmigiel dessen Plot auf die Bühne des Marstall gebracht. Erst drei Wochen vor der Premiere hat er die Inszenierung von Cilli Drexel übernommen und sie in eine angenehme Überraschung verwandelt. Vor allem, weil man Thomas Loibl, der die Elvira spielt, lange nicht mehr derart semitransparent gesehen hat wie hier. Loibl steigt in die diversen Abgründe seiner Figur mit fast majestätischer Würde. Und doch tut es weh, seinem gänzlich unsentimentalen Spiel zuzusehen, für das er nur die minimalsten Gesten braucht: einen schräg gelegten Kopf, das Tieferlegen der Stimme, sichtbar gemachte Gedanken.

Matratzen statt Bürotürme

Loibls Figur Elvira Weishaupt ist geboren als Erwin und hat, seit sie als Kind verstoßen wurde, ein Liebesdefizit angehäuft, das sie anfällig macht für die unbedachten Versprechungen von anderen. Die Geschlechtsumwandlung in Casablanca war die Folge eines solchen vermeintlichen Versprechens – dass Erwin zu Elvira wurde, ist ein tragisches Versehen unter anderen. Im Film wie auf der Bühne ist Erwin passé. Man trifft nur noch Elvira, die kurz vor der finalen Verzweiflung noch alle auf sucht, die ihr je wichtig erschienen.

Statt der Banken- und Bürotürme des in Frankfurt spielenden Films gibt es auf Martin Eidenbergers Bühne nur drei Matratzen, Plastiktüten mit Kleidern und jäh aufwallenden Bühnennebel unter einer kreuzförmigen Lichtinstallation und einem blütenweißen Riesenkokon. Das reicht für eine Passionsgeschichte, deren Stationen fließend ineinander übergehen. Neben Dechamps finden Mathilde Bundschuh, Nora Buzalka, Marcel Heuperman und Götz Schulte in immer wieder neue Figuren hinein, die mal handfest auf dem Boden der Tatsachen stehen, aber zunehmend surreal anmuten, sodass man sich fragt, ob Elvira dem Exlover und Spekulanten, der Exfrau und der schrägen Waisenhaus-Nonne wirklich noch einmal begegnet oder sie nur durch ihren Abschiedstraum irrlichtern lässt.

Mit großer Leichtigkeit und auch in den emotionalsten Momenten ohne Pathos nehmen hier alle auf offener Bühne Rollen und Funktionen wie Spielbälle an und legen sie wieder ab. Am schönsten und unaufgeregtesten macht das vielleicht Bundschuh als Hure Zora und als Elviras Tochter Marie-Anne, deren vorurteilsfreie Zugewandtheit für die in ihrem eigenen Leben Fremde kein Trost mehr ist. ||

IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN
Marstall | Marstallplatz 4 | 10. April, 2. Mai| 20 Uhr | 28. Mai
19 Uhr | Tickets 089 21851940

 


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