Das Reutlinger Theater Die Tonne arbeitet seit 12 Jahren mit Behinderten. Es ist wieder zu Gast beim TamS-Festival »Grenzgänger«.

So sieht Chaplin beim Theater Die Tonne in »Charlie« aus | © Karen Schultze

Als die TamS-Chefin Anette Spola 2009 zum ersten Mal das inklusive Grenzgänger-Festival für integrative Theatergruppen mit behinderten Darstellern veranstaltete, war das durchaus eine riskante Unternehmung. Aber es wurde ein Erfolg, und das TamS präsentiert nun schon die achte Ausgabe. Das Festival wurde vom Herbst ins Frühjahr verlegt, vom 30. März bis 8. April zeigen acht Gruppen im TamS, im HochX sowie in den Kammerspielen ihre Aufführungen. Einige sind gute Bekannte: das Berliner Theater Thikwa, das Theater Brût aus Passau, das Münchner Theater Apropos; auch die englische Stopgap Dance Company war schon hier. Dazu kommen die Dance Company Wien, das collectif Dadofonic aus Luxemburg und das Teatro La Ribalta aus Bozen. Wieder mit dabei ist auch das Theater Die Tonne aus Reutlingen, ein Musterbeispiel für gelebte Inklusion.

2015 zeigte es bei den Grenzgängern »Frida Kahlo«, diesmal erkundet es mit »Charlie« das Phänomen Charlie Chaplin.Enrico Urbanek ist seit 2001 Intendant in Reutlingen. Damals stand Die Tonne kurz vor der Schließung. Die lokale Presse preist den 51-Jährigen als großen »Ermöglicher« des »Reutlinger Theaterwunders«: Er hat die Besucherzahlen verdoppelt, die Aufführungszahlen erhöht und für ein neues Haus gekämpft, das 2018 eröffnet wird. Kein Wunder, dass die Stadt den Vertrag des Erfolgsgaranten wieder verlängert hat. Die Geschichte der Tonne zeigt, wie wichtig ein Theater für eine Stadt sein kann: Gegründet 1958 als freie Bühne, wurde sie 1972 stark in die Stadt eingebunden, seit 2002 ist sie eine städtische GmbH. Im nächsten Jahr erhält sie eine neue Spielstätte mit 300 Plätzen, weil der bisherige Spielort Planie 22 mit 120 Plätzen immer nur ein Provisorium war. Zudem spielt sie in einem kleineren Keller im Spitalhof, und im Sommer auch Open Air. Mit 14 Festangestellten, davon sechs Schauspieler, und freien Mitarbeitern stemmt Urbanek 260 Aufführungen im Jahr.

»Aber die möchten auch an ihre Grenzen gebracht werden.«

Vor etwa zehn Jahren entstand ein Jugendforum, in dem Jugendliche jedes Jahr eine Produktion zeigen. Und schon seit 2005 arbeitet das Theater mit behinderten Darstellern, die jährlich ein eigenes Stück herausbringen und ca. 15 bis 20 Mal aufführen. In Reutlingen gibt’s eine Fakultät für Sonderpädagogik mit Werkstätten für Behinderte, und die baten Urbanek mal für eine Laienaufführung um Hilfe. Er war beeindruckt von der Authentizität der Darsteller, nahm den Vorschlag einer Inszenierung an und staunte: »Es ging alles viel einfacher und direkter, als wir dachten.« Daraus wurde eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Inzwischen hat das Theater sogar acht Arbeitsplätze, an denen Behinderte zwei Tage in der Woche künstlerisch ausgebildet werden. Betreut werden sie von Dozenten und Job-Coachs der Bruderhaus-Diakonie. »Das Theater geht damit auch an seine Grenzen,« sagt Urbanek, »das ist kein Kaffeekränzchen. Aber es ist toll, was das mit den Leuten macht.« Er mischt auch behinderte Darsteller mit Ensemblemitgliedern. »Das ist nicht immer einfach, wenn man gewohnt ist, ein Stück in sechs Wochen zu erarbeiten,« bekennt er. »Man muss die Leute bei jeder Probe dort abholen, wo sie gerade sind. Und ein Händchen dafür kriegen, wie man mit ihnen umgeht, ohne sie zu schleifen. Aber die möchten auch an ihre Grenzen gebracht werden.«

Die Idee zu »Charlie« entstand, weil ein Mitglied einen Chaplin-Film toll gefunden hatte. Pantomime, Slapstick, wenig Sprache – das kommt den Darstellern entgegen. Denn mit einem festen Skript und Dialogen tun sie sich oft schwer. »Letztes Jahr haben wir Die Blinden von Maeterlinck gespielt, das war ein großer Schritt vorwärts«, sagt Urbanek stolz. Chaplin, »dem Vater des Humors«, haben sie sich gemeinsam ohne Skript angenähert. Hier spielen ausschließlich Behinderte, unterstützt von zwei Musikern. »Charlie« gastierte 2016 schon beim sicht:wechsel-Festival in Linz und erlebt in München am 30. März in der Kammer 2 seine 24. Vorstellung. ||

FESTIVAL GRENZGÄNGER
TamS| HochX| Kammer 2| 30. März bis 8. April
Termine | Tickets: 089 345890
tams@tamstheater.de

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