Thomas Dannemann kratzt in seiner Adaption von „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ im Cuvilliéstheater nur an O’Neills Oberfläche.
Eugene O’Neill greift in seinem 1941 entstandenen und 1956 posthum uraufgeführten autobiografischen Schauspiel »Eines langen Tages Reise in die Nacht« tief in die eigene Familiengeschichte. Er nannte es »einen Schmerz aus alten Tagen, mit Blut und Tränen« geschrieben. O’Neill packt die Tragödie seiner Familie in einen einzigen Tag und eine Nacht im August 1912.
Die morphiumsüchtige Mary Tyrone ist mal wieder aus der Entziehungskur zurück und tut so, als ob nichts wär. Ihr Mann James, die Söhne Jamie und Edmund spielen das Spiel mit. Im ersten Akt herrscht vordergründig Friede, Freude, Eierkuchen, abgesehen von kleinen Streitereien um Edmunds politische
Ansichten oder den Geiz des alten Tyrone. Doch Mary hängt wieder an der Nadel, entgleitet der Welt um sie herum immer mehr und verliert sich in unerfüllten Jungmädchenträumen. Die Männer haben ihren eigenen Götzen. Der heißt Whiskey.
In Thomas Dannemanns gleichförmiger Inszenierung im Cuvilliéstheater steigen die Tyrones auf einen an Stahlseilen aufgehängten schwankenden Boden aus Metall (Bühne: Johannes Schütz), der wenig subtil ihre Lebenslügen andeutet. An der Brandmauer stehen vier Schminktische, Abtrittsort für die Schauspieler, die nicht dran sind, aber auch Vehikel, um zu zeigen, dass in dieser Familie alles nur Theater ist. Gut zwei Stunden werden Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen hin und her geschrien und geweint. So trudeln die Tyrones streitend und in Hassliebe verbunden dem Untergang zu und lassen uns im vierten Akt langatmig an ihren verwehten Lebensträumen teilhaben.
Sibylle Canonica humpelt auf Krücken, weil sie sich bei den Proben verletzt hat. Das tut ihrer müden, unscharfen Mary aber eher gut. Warum Oliver Nägeles jovial-tyrannisch auftrumpfender Pater familias einen Federkopfschmuck trägt, wo die Paraderolle des alten O’Neill doch der Graf von Monte Christo war, verstehe wer will. Hinter dem lauten Getöse lässt Nägele immerhin eine hilflose Ratlosigkeit
durchscheinen. Frank Pätzold als O’Neills Alter Ego Edmund ist ein Kurt-Cobain-Lookalike und hustet seine Rebellion gegen jegliche Autorität heraus. Aurel Manthei markiert als Jamie trotzig den starken Mann und darf eine ganz große Verzweiflungsnummer abliefern.
Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass Dannemann die Schauspieler Einlagen abliefern lässt, weil ihm zum Thema Sucht und Abhängigkeit nichts einfällt. Für die Entfremdung in der Familie findet er mit der Tellerklimperkomposition zumindest einen Sound. ||
Eines langen Tages Reise in die Nacht
Cuvilliéstheater | 11., 14. Feb., 9. März, 19.30 Uhr | 19. Feb.,19 Uhr | Tickets: 089 2185 1940
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