Kino-Trubel im Berliner Winter: Zur 67. Berlinale fahren natürlich auch Münchner Filmemacher. Ein besonders vielversprechender Beitrag ist der an der HFF entstandene Science-Fiction-Film »Tara«. Er wird in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« zu sehen sein.
Berlin im Frühjahr heißt: BerlinaleZeit. Neben Filmfans, die in der Kälte vor dem Berlinale-Palast am
Potsdamer Platz ausharren, den täglichen Kritikerscharen auf der Suche nach Tickets, pausenlos vielen Sondersendungen im Fernsehen und Radio bedeutet der alljährliche Trubel im Berliner Winter gerade für junge Filmemacher vor allem eines: hohes Prestige – und mitunter weltweite Aufmerksamkeit.
Felicitas Sonvilla ist eine dieser Filmemacherinnen. Mit ihrer an der HFF München entstandenen Science-Fiction-Parabel »Tara« hat sie es in Linda Söffkers renommierte Sektion »Perspektive Deutsches Kino« geschafft. Beim Kennenlernen in München wirkt die 1988 in Wien geborene Filmstudentin von vornherein hochkonzentriert, sehr aufgeschlossen und ganz schön tough für ihr Alter. Aufgeregt sei sie eigentlich »überhaupt nicht«, weil »erst mal die Freude überwiegt«. Auch vor dem traditionell in Berlin besonders kritischen Publikum oder manchen Branchenvertretern, die Söffkers außerordentlich heterogene Programmauswahl in den vergangenen Jahren mitunter stark kritisiert hatten, habe sie überhaupt keine Angst.
Referenzen von »Stalker« bis »Blade Runner«
Warum auch? Gerade erst konnte Sonvilla an der Seite von Alexander Kluge und Guy Maddin einen Filmessay (»Fabric of a Vampire«) zur aktuellen Murnau-Hommage im Münchner Lenbachhaus beisteuern, der sich künstlerisch mit dessen berühmter »Nosferatu«-Figur auseinandersetzte. Und überhaupt konnte sich die unter anderem in Brüssel, Helsinki und Paris aufgewachsene »überzeugte Europäerin«, die seit 2010 Dokumentarfilmregie bei Heiner Stadler studiert, bereits bei der Projektfindung starke Partner ins Boot holen: zum Beispiel Edgar Reitz als künstlerischen Mentor, der ihren mittellangen Film (30 Minuten) von Anfang an nicht nur finanziell protegierte, wie auch die Freunde der HFF München, die ebenfalls das Budget ihres 23 000 Euro teuren Filmpoems früh aufbesserten.
Woran das liegt? Sicherlich auch an der akuten Zeitgeistigkeit ihres um Flucht und Vertreibung kreisenden Stoffes, wenngleich »Tara« (Produktion: Lion Bischof und Jonas Heldt) in Form und Narration bewusst abstrakt gestaltet wurde: Mit offenen Referenzen an cineastische Filmklassiker wie Andrei Tarkowskis »Stalker«, Ridley Scotts »Blade Runner« oder Lars von Triers famose »Europa«-Trilogie, was ihn schon jetzt aufgrund seiner auffälligen Genrehaftigkeit sehr positiv aus der Flut hunderter Studentenfilme des Jahres herausstechen lässt. Neben einer prominenten Besetzung (u. a. mit dem früheren Münchner-Kammerspiele-Ensemblemitglied Lena Lauzemis) und einem raffiniert ausgeklügelten Musik- und Sounddesign (Silvius Sonvilla), punktet »Tara« in erster Linie mit der vorzüglichen Kameraarbeit von Rebecca Meining, deren Vorliebe für klare Storyboards und präzise Ausleuchtung die leise vor sich hin wabernde Fluchtgeschichte massiv stützt. Denn vieles bleibt auf narrativer Ebene von Beginn an im Unklaren, vieles wird nur angedeutet, (fast) nichts direkt ausgesprochen – zum Wohle des angenehm rätselhaften Filmfragments mit Märchen-Touch.
Neues von Schlöndorff
Das gegenwärtige »Europa in der Auflösung« habe Felicitas Sonvilla zur ihrem Stoff inspiriert, genauso wie ihr persönliches Faible für osteuropäisches Kino und anspruchsvolle Sci-Fi-Literatur vom Schlage eines Stanislaw Lem, erklärt Felicitas Sonvilla. Zudem habe sie dieses Setting bewusst für ihre russische Hauptdarstellerin (und Freundin) Sasha Davydova als Mira geschrieben, die in einem dystopischen, von Nationalismus und Überwachung geprägten Europa plötzlich per Zug aus Paris gen Osten fliehen muss: zum geheimnisvollen Ort »Tara«, von dem es heißt, dass sich dort gerade eine neue Gesellschaftsordnung eta blieren würde. Wohin nun ihre persönliche Reise als Filmemacherin weitergehen wird? Die sicherlich kontroversen Reaktionen auf der Berlinale werden es zeigen.
Neben hoffnungsvollen Talenten wie Felicitas Sonvilla haben es natürlich auch – wie schon in den vergangenen Jahren – erneut einige FFF-geförderte Produktionen alter Hasen in das riesige Berlinale-Programm geschafft. Dieses Mal sind es gleich vier bayerisch geförderte Filme, die in Berlin ihre Weltpremiere feiern und dort um Aufmerksamkeit buhlen. Mit Spannung erwartet wird beispielsweise Volker Schlöndorffs neuester Wettbewerbsbeitrag »Return to Montauk«, dem mit Nina Hoss, Susanne Wolf und dem schwedischen Hollywood-Export Stellen Skarsgård wie dem dreifachen César-Gewinner Niels Arestrup hochkarätig besetzten Stoff um Max Frischs berühmte, sehr persönliche Erzählung »Montauk« (1975).
Darin spielen Hoss und Skarsgård ein verflossenes Liebespaar, dessen gemeinsame Vergangenheit sie bei einem Besuch in New York City plötzlich einholt. Schlöndorff – längst kein Jungfilmer mehr – ist in Berlin aus Tradition immer für einen Bären gut und setzt sich mit diesem neuen Stoff – nach seiner grandiosen »Homo Faber«-Adaption (1991) – erneut mit der Gedankenwelt des großen Schweizer Schriftstellers auseinander, dessen legendären Jaguar er bis heute zu Hause in Potsdam ausfährt: vielleicht ja demnächst mit einem Bären als Beifahrer.
Apropos Literatur: Es war im Prinzip nur eine Frage der Zeit, bis Eugen Ruges phänomenaler Montageroman »In Zeiten des abnehmenden Lichts« (2011) für die Kinoleinwand adaptiert werden würde. Matti Geschonneck, Sohn der DDR-Schauspielerlegende Erwin Geschonneck (»Nackt unter Wölfen« / »Jakob der Lügner«), hat dafür die Regie übernommen. Zum zweiten Mal – nach »Boxhagener Platz« (2010) – kehrt der Potsdamer Regisseur, der vor allem für seine hochkarätigen Fernsehfilme (z. B. »Tod einer Polizistin«) bekannt ist, mit einem Spielfilm auf die große Berlinale-Bühne innerhalb der »Special«-Sektion zurück. Dank Bruno Ganz, dem frisch gebackenen Ehrenpreisträger des Bayerischen Filmpreises, Hildegard Schmahl, Alexander Fehling (»Homeland«) und dem ehemaligen DEFA-Star Sylvester Groth in den Hauptrollen darf man zumindest auf dem Papier in jedem Fall schon einiges von dieser Familiensaga (Produktion: Oliver Berben) erwarten: Schließlich stammt das Drehbuch aus der Edelfeder von Wolfgang Kohlhaase (»Solo Sunny«/»Die Stille nach dem Schuss«).
Ergänzt durch eine aufgefrischte Version des Kinderbuch-Osterklassikers »Die Häschenschule« (Regie: Ute von Münchow-Pohl) als Animationsabenteuer um Max, den kleinkriminellen Großstadthasen, und Marieke Schroeders dokumentarisches Porträt der Münchner Barkeeperinstitution Charles Schumann bei einem Ausflug in die besten Bars der Welt (»Schumanns Bargespräche«) sind auch in diesem Jahr wieder einige bayerische Nuancen im Berlinale-Marathon herauszuschmecken. ||
BERLINALE
67. INTERNATIONALE FILMFESTSPIELE BERLIN
9. – 19. Februar | Vollständiges Film- und Veranstaltungsprogramm
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